Der Nationalrat debattiert über rund zehn Doppelbesteuerungsabkommen und über das Steueramtshilfegesetz. Dieses regelt das Verfahren, in dem in der Schweiz Informationen für ausländische Steuerstrafverfahren und Steuer- bzw. Nachsteuerbescheide erhoben und an den anderen Vertragsstaat übermittelt werden. Da bekanntlich bis 2009 diese Informationshilfe für Straf- und Steueransprüche des Auslands nur bei Steuerbetrug gewährt wurde, fordern verschiedene Staaten, die jegliche Steuerdelinquenz bekämpfen, dass die Schweiz hilft, alle Steuersünder zu verfolgen, und dies sogar rückwirkend bis 2000 zurück.
Am meisten Druck machen die Justiz- und die Steuerbehörden der USA, die bekanntlich der CS und weiteren Banken vorwerfen, aktiv US-Steuerpflichtige bei der Steuerhinterziehung unterstützt zu haben. Zur Vereinfachung des Steuerstreits mit den USA schlägt das Eidgenössische Finanzdepartement vor, dass der ausländische Staat auch Gruppenanfragen nach Daten von Steuerdelinquenten stellen kann, wobei diese Gruppenanfragen nicht mehr bestimmte oder mindestens bestimmbare Personen bezeichnen müssen, bei denen konkrete Gründe für den Verdacht eines Steuervergehens bestehen.
Es genügt neu der Hinweis auf bestimmte „Verhaltensmuster“ von Bankkunden, z.B. indem die Dossiers von allen Kunden gefordert werden, die ihr Vermögen mit Hilfe einer ausländischen Gesellschaft verwalten lassen; oder von allen, welche ihre Bankkorrespondenz nicht an die Wohnadresse, sondern an eine andere Stelle schicken lassen; oder alle Kunden, welche von der Bank ein Prepaid-Handy erhalten haben. Es ist offensichtlich, dass unter den Personen mit solchen „Verhaltensmustern“ vorsätzlich handelnde Steuerdelinquenten sein können, aber diese Vorwürfe können sehr wohl auch Personen treffen, die ganz andere Motive haben und ihren Steuerpflichten nachkommen.
Die Zulassung solcher Gruppenanfragen mit Verhaltensmuster seitens der Schweiz, entwickelt, um den Forderungen der USA entgegen zu kommen, ist bisher einzigartig im internationalen Steuerrecht, auch wenn in der OECD solche Prozeduren schon diskutiert werden. In der Beratung des für alle Steuerabkommen anwendbaren Steueramtshilfegesetzes will die SP Gruppenanfragen generell zulassen, während die SVP diese gegenteils explizit verbieten will. Die eine Seite will allen Staaten den Zugriff auf allfällige Steuersünder erleichtern, um auf dem Schweizer Finanzplatz endlich eine „Weissgeldpolitik“ zu ermöglichen; die andere Seite befürchtet einen Vertrauensschaden für den Schweizer Finanzplatz und eine unvermeidbare Flut von Prozessen über solche pauschale Informationsgesuche des Auslands.
Die politischen Intentionen allein lösen die Probleme aber nicht, wenn fundamentale Rechtsprobleme bestehen. Drei seien genannt.
1. Wenn in Strafverfahren gegen Personen ermittelt und Zwangsmassnahmen wie die Beschlagnahme von nach Gesetz geheim zu haltenden Daten angeordnet wird, die Behörden aber gegen beliebige Personen ohne irgendeinen diesen Personen zurechenbaren, konkreten Verdacht vorgehen, so verletzen sie das menschenrechtliche Gebot der Unschuldsvermutung bzw. haben keine Rechtfertigung für ein solches Vorgehen gegenüber Unschuldigen.
2. Besonders bedenklich ist, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung die Ausführung der Ersuchen z.B. der US-Behörden einfach den von ihr ausgewählten Banken überlasst. Warum z.B. die CS die Dossiers von bestimmten Kunden ausliefert oder nicht ausliefert und warum sie welche Daten über den Kunden und über Dritte, mit denen der Kunde Finanzgeschäfte abwickelt, den ausländischen Behörden geben will oder nicht, wird nicht begründet und nicht kontrolliert und ist von Kunden oder Dritten auch nicht gerichtlich anfechtbar. Mit anderen Worten, die Schweiz macht die privatwirtschaftlich tätigen Banken zu Organen der Straf- und Steuerjustiz, ohne dass die Verfassung oder ein Bundesgesetz dies vorsieht. Eine Bank, die nicht nur heikle Kunden loshaben will, fürchtet die Rechtsstreitigkeiten mit den Kunden, und die Kunden sind empört, wie schon die UBS-Fälle gezeigt haben, über die Willkür der Bank beim „Aussortieren“ der Dossiers.
3. Auch die neue Generation von Doppelbesteuerungsabkommen sehen nur Pflichten zur Informationshilfe vor, wenn die ausländischen Gesuche die betroffenen Personen bezeichnen oder nach den konkreten Umständen eindeutig bestimmen lassen. Gruppenanfragen als pauschale Verdächtigungen und Aufforderung zur Rasterfahndung mit den und durch die Banken kennen diese Abkommen nicht. Die Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Verträge haben gegenüber einem innerstaatlichen Gesetz aber Vorrang. Die seltsame Genehmigung des 2010 von der Schweiz schon genehmigten Staatsvertrages oder eine Regelung über Gruppenanfragen im Steueramtshilfegesetz verletzt das höherrangige Völkerrecht. Früher oder später werden betroffene Bankkunden dies vor den Schweizer Gerichten rügen. Und sie werden dann auch geltend machen, dass die internationale Rechts- und Amtshilfe grundsätzlich reziproke Pflichten zwischen den Vertragsstaaten voraussetzt. Einseitige „Grossherzigkeit“ ist in diesen Verträgen nicht vorgesehen.
Mein Fazit: Die Vorauslieferung von Tausenden von Kundendaten an die USA erfolgte ohne Gesetz und die Zulassung von Gruppenanfragen selbst in einem Bundesgesetz führt zu verschiedenen völkerrechtlichen und grundrechtlichen Konflikten, entsprechenden Prozessen und grosser Rechtsunsicherheit. Da wäre dann ein staatsvertraglich klar und präzise geregelter gegenseitiger Informationsaustausch die weitaus bessere Lösung.
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