Er galt als „Schweizer Gastropapst“: Silvio Rizzi. 1930 in St. Gallen geboren, studierte er Germanistik an der Uni Zürich, wo er über Rudolf Borchardt dissertierte.
Anschliessend arbeitete Rizzi als Gymnasiallehrer, unter anderem in Davos und am Seminar in Rorschach.
In den 1970er-Jahren wechselte er als Texter in die Werbebranche, zudem verfasste er Kolumnen für Zeitungen und Zeitschriften.
Öffentliche Bekanntheit erlangte der Ostschweizer als Chefredaktor und Herausgeber des „Gault-Millau“, eines Restaurant-Führers für gehobene Küche. Rizzi prägte damit die Berichterstattung über die noblen Schweizer Lokale massgeblich, er selbst wurde eine gefragte Person, wenn es um Kulinarik ging.
1999 erlitt Rizzi einen Schlaganfall und blieb über einen Tag in seiner Wohnung liegen. Er starb, halbseitig gelähmt, 2003 in einem Pflegeheim in Freienbach SZ.
Rizzi war ein Sammler von Büchern, insbesondere Erstausgaben der deutschen Literatur und historische Kochbücher. Sein schriftstellerischer Nachlass gelangte ins Literaturarchiv in Bern.
Dort heisst es auf der Website: Der literarische Connaisseur und homme de lettres Silvio Rizzi hinterliess eine Privatbibliothek mit Raritäten und Erstausgaben v.a. der deutschen Literatur. Die gesamte Kochbuchsammlung hat Silvio Rizzi 2002 der Mediothek Freienbach (Kt. Schwyz) geschenkt.
Eine gute Entscheidung, mag man denken, so sind die überlieferten Rezepte allen Hobbyköchen weiterhin zugänglich.
Doch eine Suche im Online-Bibliothekskatalog dieser Mediothek liefert keinerlei Treffer. Bücher aus dem 19. oder 18. Jahrhundert erscheinen gar nicht, und von denen müssten ja welche vorhanden sein.
Seltsam. Ist das vielleicht ein Rara-Bestand und daher mit ein paar Klicks nicht einsehbar?
Die Antwort der Mediothek Freienbach auf die Frage, was mit der Rizzi-Kochbuchsammlung sei, ist so schockierend wie unerwartet: „Es existieren leider von der ganzen Sammlung keine Bücher mehr.“
Es habe ein Unwetter gegeben, bei der die Oberdorfstrasse überflutet worden sei. Ein Datum dieses Ereignisses wird nicht genannt.
Weiter schreibt die Mediothek: „Wir mussten nach der Überschwemmung sehr viele Bücher entsorgen und leider auch die Bücher von Rizzi.“
Entsetzlicher Jammer! Aber wäre wenigstens zu erfahren, was für Bücher die Sammlung umfasste? Doch ein Verzeichnis existiert auch nicht mehr, so die Mediothek.
„Da wir keinen Auftrag hatten ein Verzeichnis der Bücher zu behalten, haben wir die Bücher im Katalog gelöscht. Bei uns haben seither die Präsidentin sowie die Leitung gewechselt.“
Die Kochbuch-Sammlung von Silvio Rizzi hat sich also in Luft beziehungsweise Wasser aufgelöst. Kein prosaisches Ende für die gewiss schönen Bände.
Wäre es wenigstens einige Hektoliter Burgunder gewesen, so hätte dies einen stilvollen Abgang ergeben. Aber Wasser, noch dazu wohl eine verschlammte Brühe? Unwürdig.
Auch sein Grab auf dem Friedhof Freienbach wurde mittlerweile aufgehoben. „Das Grab besteht nicht mehr, da die Grabesruhe erfüllt ist“, schreibt die Friedhofsverantwortliche auf Anfrage.
Somit existieren in Freienbach keine Spuren mehr von Rizzi, weder von ihm selbst noch von seinen Büchern. Ob am Pflegeheim eine Tafel angebracht wurde, dass Silvio Rizzi hier gestorben sei, wäre nachzuprüfen, scheint aber recht unwahrscheinlich.
In Freienbach legt offenbar niemand Wert, an den einstigen berühmten Bewohner zu erinnern. Gut, er war ja auch ein St. Galler, der die längste Zeit über in Zürich lebte.
Auch in diesen Orten gibt es, soweit bekannt, keine Hinweise auf sein einstiges Dasein.
Eine Silvio Rizzi-Gesellschaft wäre noch zu gründen, verbunden mit einem mehrgängigen Menu und jährlichen Tafelrunden. Lokale hierfür böten sich einige an, doch welches sein Lieblingsrestaurant gewesen ist, wüssten wohl nur noch jene Vertrauten, die ihn persönlich gekannt haben.
Das dürften nicht mehr allzu viele Menschen sein, bei jemandem, der heute 94 Jahre alt wäre. Gibt es noch Freunde, Fans oder gar Gegner von ihm?
Im Nachlass in Bern gibt es jedenfalls Unterlagen von Autoren seiner Buchbesprechungen, die sich ungerecht rezensiert fanden. Wohl waren auch nicht alle Spitzenköche von den Bewertungen des „Gault-Millau“ begeistert.
Aber wer denkt heute noch an Silvio Rizzi, wenn er in einem Gault-Millau-prämierten Lokal sitzt?
Was bleibt, sind Rizzis eigene Werke, allesamt allerdings vergriffen: „Tafelfreuden – köstliche Geschichten aus der Schweiz“, „Kathapmoi oder Eine Prise Prosa, mit Lyrik und Philosophie“ oder „Herausgegriffen – 34 Trouvaillen aus meiner Bibliothek“.
Es empfiehlt sich, diese Bände möglichst auf einem oberen Regal, gut geschützt vor Hochwasser, aufzubewahren.
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Die beliebtesten Kommentare
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In Freienbach brauchen sie keine Bücher; sie bevorzugen teure Autos und private Swimming Pools, d.h. Sachen wo man zeigen kann dass man es hat.
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Grüezi Herr Degen und Herr Hässig; sammeln Sie auch alte Kochrezepte ?
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Sehr bedauerlich, dass es zu dieser Situation gekommen ist. Tja, die Dummheit auf dem Lande.. Hatte das Privileg, Silvio viele Jahre lang zu kennen. Seine sonore „St. Galler Stimme“, sein rabenschwarzer, zynischer Humor sind mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Rizzi war ein liebenswürdiger, humorvoller Mensch, der mit seiner zynischen Art jedoch nicht immer auf Verständnis stiess, oft aneckte. Sein tragisches Ende, fernab, die letzten zwei Jahre halbseitig gelähmt in Freienbach und für jedes Detail auf Hilfe angewiesen, ist mir noch sehr präsent. Was bleibt, ist ein hochbegabter Paradiesvogel, immer bereit für einen zynischen Spass, kulinarisch ein einsamer, sehr seltener, absoluter Spitzemann.
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Freienbach wurde und wird von Betonköpfen geführt. Das äussert sich in hemmungsloser Bautätigkeit und wenig Sensibilität gg Kultur und Gemeinschaftsleben.
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Das Hochwasser war 2016 in Pfäffikon. Die Gemeinde Freienbach hat nachher CHF 4,5 Mio in ein Rückhaltebecken investiert damit das nicht mehr passiert.
Mein Keller wurde auch überschwemmt und alle Bücher wurden im Schlamm erstickt….nichts zu retten -
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Daß eine Mediothek wertvolle historische Bücher so lagert, daß si unte Wasser kommen können ist das eine.
Daß sie die Bücher einfach entsorgt anstatt sie zu retten, das anders
Mir kann niemand erzählen, daß man Bücher, die durchnäßt sind einfach nicht mehr retten kann. Es ist eine Frage des Willens.Fazit: Wenn Sie wertvolle Bücher haben, nicht der Mediothek Freienbach vermachen.
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NASSE BÜCHER KANN MAN RETTEN INDEM MAN SIE IN DEN TIEFKÜHLER LEGT UND DER FACHMAN HOLT SIE WIEDER ZU TAGE!!
EIGENTLICH EINFACH , MAN MUSS ABER WOLLEN !
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Ich hoffe, IP ereilt bald das gleiche Schicksal. Abgesoffen und niemand bemerkt es.
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Andi der Kreuzfahrt-Urlauber der nicht schwimmen kann.
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IP ist echt das Letzte, das man zum Lesen kriegt.
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Dieser Artikel zeigt die Herausforderung eines Historikers: Er lebt geistig in der Vergangenheit. Ihm fehlt deshalb typischerweise das Verständnis, dass dies die meisten anderen Leute nicht tun und somit seine Sichtweise nicht oder höchstens ansatzweise teilen.
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Schriftgutverwaltung – die Bibliothekare können es eben!
Gefährdet sind mit der Entfremdung der Staats-«Mit-»Arbeitenden von jeglichem Realitätsbezug auch sämtliche übrigen Schriftdokumente, mit denen in Zukunft Sachverhalte vor dem Richter bewiesen werden könnten.
Der Staatsarchivar des Kantons Zürich kupferte beim Kantonsrat 25 Millionen für einen Bibliothek-Erweiterungsbau ab. Pure Selbstvergoldung, wenn man nicht weiss, zu was die Blätter zwischen den Deckeln und die Dateien auf Elektrospeichern nütze sind.
Dem 25-Mio.-Kredit hat Regierungsrat Ernst Stocker zum Durchbruch verholfen. Wo der Zürcher Finanz-Magistrat unserer Eidgenossenschaft Millionen an Lizenzeinnahmen aus allen Ländern Europas hätte beschaffen können, war ihm dies kein einziges Telefonat wert.
Die sorgenlose Staatswirtschaft schreitet voran. Morgen wohnt in Deiner Wohnung ein von einer türkischstämmigen Beamtin angewiesener Mitbewohner. Daweil lässt Schnittke von der Opernbühne grüssen. Das Volk applaudiert. Die NZZ lobt. Wir sind Schnittke näher als wir glauben. «Leben mit einem Idioten» geht auch nach der Dernière am Opernhaus weiter.
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Die wenigsten von uns haben noch Möbel von unseren Grosseltern. Selten ein paar Haushaltsgegenstände, vielleicht ein Schmuckstück, möglicherweise ein Buch, am ehesten noch ein paar Fotos. Bei einigen ist noch ein Haus geblieben (oft verkauft oder abgerissen) oder Geld, welches in der Zwischenzeit meist aufgebraucht wurde.
Man stelle sich vor, wir hätten noch alles (Möbel, Haushaltsgegenstände, Bücher, Schmuck, Fotos usw.) von unseren Vorfahren. Wir würden quasi in einem Museum leben.
Das Leben ist nun mal vergänglich, wie auch die meisten Erinnerungen daran. In 25 Jahren dürften noch ein paar Leute Inside Paradeplatz kennen. In 50 Jahren garantiert nicht mehr. Nicht mal mehr einen Wikipediaeintrag über Lukas Hässig wird es dann noch geben, sofern es Wikipedia dann überhaupt noch geben wird. Das ist der Lauf der Zeit.
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Rizzi würde sich im Grabe umdrehen wenn er wissen würde wie man sein Erbe verschandet hat. Sogar die Bestandesliste verschwinden lassen…
-Elefant ช้าง
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Buch im eigenen Sumpf
Man nehme einige schlecht gelagerte Raritäten-Bücher und ein mittelgrosses Hochwasser. Umrühren und fertig.
Silvio Rizzi geht heute bestimmt entweder dem Besitzer der der höllisch guten ‚Trattoria Diavola‘ auf den Keks oder dem Pächter des ‚Tofupfännli zum Himmelstörli‘.
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„Das Mahl macht mehr Freunde als der Geist.“
Publilius Syrus (um 90 – 40 v. Chr.), falsch auch Publius Syrius, römischer Moralist, Aphoristiker und Possenschreiber
Quelle: Publilius Syrus, Sprüche (Sententiae), um 50 v. Chr. Übers. Aphorismen.de
Originaltext: Plures amicos mensa quam mens concipit -
Zum einen, die Person von Silvio Rizzi: obwohl ich ihn nicht persönlich kannte, habe ich seine Rezensionen und Berichte über gehobene Küche sehr geschätzt und dank seinen Trouvaillen im Gault&Millaau viele neue Stätten mit vorzüglicher Gastronomie kennengelernt. Zum andern, der Umgang mit persönlich gesammeltem Kulturgut lässt eindeutig zu wünschen übrig: ich bin seit 60 Jahren ein Hardcoresammler aus den Gebieten Kochen, Rezepte, Kulinarik mit einer riesigen Sammlung von Porzellan, Kristallglas, Bestecken, Kochbüchern und anderes mehr. Leider gibt es nur noch wenige Interessierte, welche eine solche Sammlertradition weiterführen würden.
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Es zeugt von der Unterdurchscnittlichkeit der „normalen Leute“.
Aber Rizzi hätte seine Bücher besser der Zentralbibliothek in Zürich geschenkt als eine Dorfsbibliothek. Ich nehme es den Bibliothekarinnen Freienbachs nicht mal übel. Sie sind einfach zu zu bemitleiden. -
Danke Lorenz für diesen Artikel.
Ja,ich hatte einmal die Gelegenheit Silvio Rizzi einen Tag zu begleiten. Ursprünglich wollte er einen Artikel über Aepfel schreiben und fragte mich nach dem Rezept vom „Bären-Apfelkuchen“ in Utzenstorf. Natürlich konnte ich ihm nicht helfen.
Er entschied sich dann über die „Berner-Platte“ zu schreiben. Er verbrachte einen ganzen Vormittag bei mir in der Küche und wir kochten zusammen dieses Gericht. Nun, es war sehr anspruchsvoll aber auch grossartig mit ihm zu diskutieren und ich war von seinem Fachwissen tief beeindruckt. Ich werde diesen Tag mit ihm nicht vergessen! -
Zu Netflix- und Internet Zeiten braucht man keine Biblothek (und vor allem alte stinkende Bücher) mehr.
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voll endkrass die boomerwelt😂
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Wieso waren die Bücher nicht digital? Wir haben 2024!
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Wenn man die Bücher erhlaten möchte, sollte man sie nicht unter Wasser setzten.
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Wirklich schade für ein Kulturgut, was dort passierte. Ich könnte jetzt eine solche Kochbuchsammlung (aus den letzten 100 Jahren) anbieten. Natürlich die eigene, nicht von Silivo Rizzi! Hat jemand Interesse daran? venido67@gmail.com
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Tragisch zwar, aber historisch völlig unwichtig. Rizzi ist auch nur einer unter Milliarden, dessen Lebenswerk im Laufe er Geschichte verloren gegangen ist. Ein „Gault-Millau“- Restaurantführer war etwas für die damalige Gegenwart. 25 Jahre danach ist er nur noch Altpapier. Artikel Note 5, gut.
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@Diagnostiker
Ihr Problem ist, dass Sie Texte nicht verstehen, aber sich anmassen, diese mit Noten zu bewerten.
Es geht nicht um die Gault-Millau Bücher sondern um alte historische Kochbücher, die zerstört wurden.
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Sogar der Bücher Katalog wurde gelöscht. Zufall? Böswillig?
Aus den Augen. Aus dem Sinn.
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sic transit gloria mundi
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Was dachte die Biblithek? Die Bücher seien Wasserdicht???
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Wer Bücher physisch lagert, muss mit Verlust rechnen.
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Habe mit Silvio in der Werbung zusammen gearbeitet. Durfte mal seinen Jaguar Mark IX fahren. Waren noch Zeiten !
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Schon wieder ein Papst, es reicht mir langsam. Der Stand Zürich ist reformiert und braucht keinen Papst, am allerwenigsten einen Klima-Papst Knutti.
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So geil, wie zu erwarten, schleicht der dummschwatzende Maniker auch noch um die Ecke.
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Das ist so bei uns: viele denken und handeln nur noch auf Anweisung oder Auftrag. Man wundert sich, dass zahlreiche Organisationen überhaupt noch existieren.
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Ganz, ganz traurig. Wenn der Gemeindepräsident von Freienbach dies liest, müsste er die Verantwortlichen zu sich rufen und mit ihnen tachles reden. Silvio in Ehren!
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Sind wir bei Betty Bossy?
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Vielen Dank für diesen Artikel – Silvio Rizzi war eine ausserordentliche Persönlichkeit– ich lernte den kennen auf Umwegen.
Wahnsinn – wie kann man so verantwortungslos mit Kulturgütern umgehen!-
kultur? 😳
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Meine Grossmutter (Jg. 1896) starb 1988. Wie im Fall von Hr Rizzi wurde das Grab inzwischen aufgehoben. Sie wusste nicht, was „Paradeplatz“ ist, mit „inside“ konnte sie nichts anfangen und im Haushalt gab es nur 2 oder 3 Heimatbücher mit alten Fotos.
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Typische Bürokraten-Antwort:
„Da wir keinen Auftrag hatten ein Verzeichnis der Bücher zu behalten, haben wir die Bücher im Katalog gelöscht. Bei uns haben seither die Präsidentin sowie die Leitung gewechselt.“Schonmal etwas von einem Archiv gehört? Ich vermute mal, es ist denen einfach egal.
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Das ist gemeint mit „weniger Staat“ – öffentliche Angestellte führen nur aus (v.a. wenn es um Extras geht), wenn ein rechtlich abgestützter Auftrag vorliegt. Die Gemeinde hat richtig gehandelt.
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TYPISCH DIESE GLEICHGÜLTIGKEIT DER HEUTIGEN zEIT (GENERATION).
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@Erich Hauser
äääääh…es geht nur darum, eine elektronische Datei zu erstellen aus dem vorhandenen Katalog, die die zerstörten Bücher enthält. Das ist in wenigen Minuten erledigt.Was hat das mit „weniger Staat“ zu tun??? Die Angestellten dort haben einfach ihr Gehirn abgeschaltet bzw. hatten einfach „kei luscht“ …
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Typische Bürokraten-Antwort: „Da wir keinen Auftrag hatten ein Verzeichnis der Bücher zu behalten, haben wir die Bücher im Katalog gelöscht.…
Vielen Dank für diesen Artikel – Silvio Rizzi war eine ausserordentliche Persönlichkeit– ich lernte den kennen auf Umwegen. Wahnsinn –…
Wer Bücher physisch lagert, muss mit Verlust rechnen.