Am 18. November hat die Immunitätskommission des Nationalrats effektiv entschieden, die Immunität von SVP-Nationalrat Andreas Glarner wegen eines islamkritischen Tweets aufzuheben.
Mit Spannung wird nun auf den endgültigen Entscheid der Schwesterkommission des Ständerats im Januar gewartet.
Sollte die Immunität tatsächlich fallen, wäre der Weg für die Berner Staatsanwaltschaft frei, gegen Glarner ein Verfahren nach der Antirassismus-Strafnorm einzuleiten.
Bis zum Entscheid im Januar ist es wichtig, die fragwürdige Logik hinter der ursprünglichen Aufhebung der Immunität genauer zu hinterfragen.
Die Kommission argumentierte, Parlamentarier wie Glarner sollten „nicht pauschal gegenüber Privaten privilegiert werden dürfen, wenn sie sich auf Plattformen äussern, über welche grundsätzlich jede Privatperson die Öffentlichkeit erreichen kann“.
Diese Argumentation greift Daniel Gerny in der NZZ auf und bezeichnet die Entscheidung der ersten Kommission als „gute Nachricht.“ Er lobt die Parlamentarier für die seiner Meinung nach vorbildliche Botschaft.
„Wir wollen für uns keine anderen Massstäbe setzen als jene, die für alle Bürgerinnen und Bürger gelten.“ Im Kern unterstützt Gerny also die Haltung der Kommission als Beitrag zur Gleichstellung.
Gerny hat es aber geschafft, aus dem Urteil der Immunitätskommission genau den falschen Schluss zu ziehen, indem er deren Torheit mit Tugend verwechselt.
Wer seiner Argumentation bis zum Ende folgt, landet unweigerlich bei einer allumfassenden Schweigespirale.
Er beklagt, dass Politiker den privilegierten Schutz der parlamentarischen Immunität geniessen, folgert daraus aber nicht, dass die Bürger freier werden müssten, sondern dass auch den Politikern ein Maulkorb verpasst werden sollte.
Diese Vorstellung von Gleichheit ist wirklich merkwürdig. Wenn die Mehrheit der Bürger in Ketten liegt, so scheint Gerny zu suggerieren, dann sollten wir im Namen der Gerechtigkeit auch den Rest in Ketten legen.
Indem der NZZ-Meinungsmacher fordert, dass Politiker diesen Schutz verlieren, stärkt er ungewollt die Macht des Staates, abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Gernys Utopie scheint eine Welt zu sein, in der jeder Politiker für den Staat spricht und jeder Bürger zustimmt oder schweigt.
Nennen wir es die Pax Gernyca. Unter der Pax Gernyca wäre die parlamentarische Immunität ein Museumsstück mit dem Titel „Privileg, das wir im Namen der Gleichheit abgeschafft haben.“
Im Schatten der Vitrine würde der Staat die Bürger und ihre Vertreter zensieren. Ein Triumph der Gleichheit, aber nur wenn unser Ziel darin besteht, jegliche Diskussion über kontroverse Themen im Keim durch erzwungene Stille zu ersticken.
Die Entscheidung der Kommission wahrt also keineswegs die Gleichheit, sondern untergräbt vielmehr das Prinzip, das eine Demokratie überhaupt funktionsfähig macht: den Schutz des freien politischen Diskurses vor den Unwägbarkeiten der Strafverfolgung.
Politiker brauchen keine „anderen Massstäbe“, weil sie sich für etwas Besseres halten als gewöhnliche Bürger; sie brauchen Immunität, weil es zu ihrer Aufgabe gehört, der Staatsmacht unbequeme Wahrheiten zu sagen, herrschende Orthodoxien zu hinterfragen, Empfindlichkeiten zu verletzen und gegebenenfalls Empörung hervorzurufen.
Besonders merkwürdig ist, dass Gerny im selben Artikel, in dem er die Aufhebung der parlamentarischen Immunität fordert, deren Sinn und Zweck gutheisst. Er betont, dass Parlamentarier die Freiheit haben müssen, mutig zu argumentieren, ohne von übermotivierten Staatsanwälten schikaniert oder böswillig verfolgt zu werden.
Selbst die Feststellung, dass Demokratie am besten gedeiht, wenn Gedanken und Reden nicht vorschnell durch Zensur erstickt werden – was zu einer „Schere im Kopf“ durch Selbstzensur führt –, lässt er sich nicht nehmen.
Gernys Warnung vor der „Schere im Kopf“ ist besonders ironisch, wenn man bedenkt, wie vehement er sich für die Aufhebung der politischen Immunität einsetzt, die die Demokratie und Redefreiheit von Politikern schützt.
Die Pax Gernyca würde Selbstzensur keineswegs verhindern. Im Gegenteil, die „Schere im Kopf“ würde nur umso eifriger schnippeln.
Der Skandal liegt also nicht nur in der Entscheidung der Kommission, Glarner die Immunität zu entziehen, sondern auch in der Argumentation, die dieser Entscheidung zugrunde liegt.
Man kann nur hoffen, dass die Schwesterkommission bei ihrer Entscheidung mehr Weisheit und Weitsicht walten lässt und sich nicht von Stimmen wie der des Herrn Gerny aufs Glatteis führen lässt.
Während wir auf die Entscheidung der Schwesterkommission im Januar warten, ist es unerlässlich, eine deutlich stärkere Verteidigung der Meinungsfreiheit zu formulieren. Der moderne Ruf nach Gleichheit scheint immer mehr dazu zu dienen, die schlimmsten Aspekte der Ungleichheit zu verallgemeinern.
Ich bin nicht der erste, der feststellt, dass zum Beispiel einige Linke Wohlstandsunterschiede nicht dadurch beseitigen wollen, dass sie allen Wohlstand ermöglichen, sondern dadurch, dass sie alle in die gleiche Armut stürzen.
Wahre Gleichheit muss jedoch darauf abzielen, alle zu erheben und nicht zu erniedrigen; sie muss die Freiheit verteidigen und nicht einschränken.
Es herrscht ein Tohuwabohu (= Durcheinander);es wagt niemand mehr, die Wahrheit zu sagen. Ein Affenzirkus mit Ansage.
Ganz im Sinn des Wertlos-Westen. NZZ ist ein Schatten früherer Tage, leider.
Ist es Voraussetzung für „Journalisten“ bei IP, bereits im allerersten Satz eines Artikels schlicht und einfach Falschaussagen von sich zu geben?
Wie kann hier irgendjemand einen Artikel gut finden, wenn der Verfasser nicht verstanden hat, was im behandelnden Thema überhaupt genau passiert?
Völlig unabhängig von der Einstellung zum Thema erwarte ich saubere Recherchen und wahre Aussagen!