Vor kurzem haben wir hier die Geschichte der Firma „Safrasin“ gelesen, die ihre Mitarbeiter mit der Sperrung von bestimmten Webseiten vor der grauslichen Realität der realen Welt schützen wollte.
Soviel Stupidität ist seltener geworden, aber offenbar doch noch nicht ganz ausgestorben. Das Schlimmste ist, dass diese grenzenlose Naivität auffallend häufig in einer Branche anzutreffen ist, die sich selber als hochqualifiziert und hochintelligent vorkommt – in der Finanzbranche.
Hochnäsig waren Bankiers – zumindest in der Wahrnehmung des Publikums – schon immer.
Aber können sie wirklich so abgehoben von aller Realität sein, dass sie die grundlegenden Kommunikationsmechanismen zwischen Geschäft, Kunden, Öffentlichkeit und Mitarbeitern nicht verstehen?
Sie können es offensichtlich.
Ich spreche hier nicht von den teilweise wahnwitzigen Finanzprodukten, die wahrscheinlich nicht nur von den Kunden nicht immer ganz verstanden werden, sondern vom Umgang mit Menschen und Menschengruppen, mit „Zielpublika“.
Es ist wahrscheinlich einem Bankangestellten, um auf den aktuellen Fall zurückzukommen, ziemlich egal, wenn ihm der Arbeitgeber den Zugang zu einer Informations- oder Diskussionsseite sperrt; er wird die dahinterstehenden Informationen oder auch nur Gerüchte eh erfahren – je verbotener, desto rascher und neugieriger. Er wird daraus aber natürlich den (richtigen) Schluss ziehen, dass ihn sein Arbeitgeber für blöd hält. Mit allen Konsequenzen für die Motivation des Mitarbeiters.
Warum haben die Banker in all den Jahren und Jahrzehnten seit der Abschaffung der formellen Zensur nichts gelernt?
Erinnern wir uns an die SKA seligen Angedenkens. Als vor 36 Jahren der Texon-Skandal platzte, hatte die Schweizerische Kreditanstalt trotz vielen Beratern, aber aufgrund einem gelinde gesagt suboptimalen Umgang mit der Situation in der Öffentlichkeit über Monate mit einer massiven Medienkampagne (heute wäre das ein „Shitstorm“) zu kämpfen – kaum eine Schlagzeile kam noch ohne das Buchstabenspiel „SKAndal“ aus (was letztlich zum Verschwinden des Namens und zur Notlösung „CS“ führte).
Als vor mittlerweile elf Jahren ein völlig unbekannter CS-Analyst namens Christopher Chandiramani bei der damals als unsinkbar geltenden Swissair etwas genauer hinschaute und sich erfrechte, das auch noch zu publizieren, reagierte die gesamte Schweizer Finanz- und Bankwelt wiederum völlig rat- und hilflos (die Politik sowieso). Die Arroganz stand im umgekehrten Verhältnis zur Problemlösungskompetenz. (Siehe dazu: Heitz/Keller Swissair: Agonie, Tod und Klon. Verlag Politik und Wirtschaft, Lugano 2007. ISBN 978-3-906602-02-8.)
Die Liste mit einschlägigen Erfahrungen liesse sich beliebig fortsetzen.
Während man in der Öffentlichkeit die Texon-Geschichte noch eher als wirtschaftliches „Naturereignis“ und rein kriminelle Aktion wahrgenommen hatte, bewirkte das Swissair-Grounding immerhin ein Umdenken in der Öffentlichkeit; zum ersten Mal entstand eine ernstzunehmende Aktionärsschutzbewegung, die sich jetzt nach einigen Jahren relativer Ruhe auch wieder zu formieren beginnt.
Wie manche Ereignisse der neuesten Zeit zeigen, scheinen aber die vielen Erfahrungen der Vergangenheit immer noch nicht in allen Teppichetagen angekommen und verstanden worden zu sein. Medien liefern dazu fast täglich Anschauungsunterricht.
Warum ist das so? Ich kenne zu wenige Banker, um ein abschliessendes Psychogramm erstellen zu können. Ich weiss darum auch nicht, ob Banker in ihrer verzerrten Realitätswahrnehmung überhaupt therapierbar sind.
Aber es gibt doch in jedem Finanzinstitut ungezählte Kommunikationsfachleute, und es gibt auch genügend spezialisierte PR-Berater, die ihren Chefs oder Auftraggebern mal die Welt darstellen könnten, wie sie ist. Oder sind die mittlerweile auch schon vom finanzwirtschaftlichen Desinformations- oder Nonkommunikationsvirus befallen?
Ich halte PR-Leute nicht für absolut zentral für die Weiterentwicklung der Menschheit, aber etwas sollten sie doch noch fertigbringen: Ihren Finanzkunden die minimalen Grundlagen der Kommunikation mit der Öffentlichkeit – und den Mitarbeitern! — beizubringen. Oder notfalls einzubleuen.
Sonst besorgt das früher oder später die öffentliche Meinung.
Kommentare
Kommentieren
Die beliebtesten Kommentare
-
Nonkommunikation ist oft diktiert durch eine vermeintliche oder reelle rechtliche Falle. Das hat nicht nur mit den Bankers zu tun, das ist Management-Gemeinplatz .
Sag ich etwas und bin offen und ehrlich, diskriminiere ich mich selber, präjudiziere die Firma. Sage ich nix, muss ich das Mediendonnerwetter über mich ergehen lassen aber kein Richter, Börsenausicht kann mir sofort einen Strick drehen.
Kurz und krass und oversimplified: Bevor die PR Leute dem Durchschnitts-CEO was ‚einbleuen‘ dürfen ist der gute top shot schon vorprorammiert, mindestens vom in-house Counsel, wo es lang geht – oder eben nicht. Rar sind die CEO s die sich um die Meinung ihrer Rechtsabteilung foutieren und ihrem ‚PR‘ Instinkt folgen. Dazu braucht es starke Persönlichkeiten mit der Courage zu konträrem Handeln, solidem common sense Risiken abzuwägen. Und (auch) darum sind gute CEO s so extrem rar.
-
Diese Aufregung erstaunt mich. Ist schon vergessen, was wir doch alles an unloyalem Verhalten von Bankangestellten haben erleben müssen, wie z.b. Verkauf von Kundendaten? Es geht ja nicht nur um das, sondern ganz allgemein darum, dass der Besitz von heiklen Informationen ein Anreiz zu unkontrollierter Verbreitung und sogar zu einem Machtinstrument werden kann. Dass die Geschäftsleitungen jetzt nach dem Motto vorgehen „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, haben verräterische Angestellte verursacht.
-
Nicht vergessen … die Bankmitarbeiter wurden von den CEO’s in den USA genannt, diese erhielten ein NPA … Strähle war einer der ersten … und die Bank Sarasin verwirrte darüber die Presse, dass sich die Balken bogen … warum soll ein Bankmitarbeiter gegenüber seinem Top Management loyal sein?
-
Greg: Ich war bei der Befragung von Strähle nicht dabei. Doch kann ich mir vorstellen, dass es angenehmer ist von Schweizer Sicherheitskräften zurückgehalten und befragt zu werden als von US-Amtspersonen, die meinen jeder Festgenomme sei ein Schwerverbrecher. In einer solchen Situtation kann man nicht darum herumkommen, unter dem Zwang der Verhältnisse Aussagen zu machen, die man lieber nicht machen würde.
-
@J.C.F.: Alles was recht ist, aber sie tönen als ob diese grandiosen CEO’s einem „waterboarding“ unterzogen wurden. Ich sage nur: no balls at all!
-
Genau Sandra … guter Punkt … hier der grosse Max respektive Jxx … dort sofort alle ans Messer liefern um selber den Hals aus der Schlinge zu ziehen … ausserdem wie naiv muss man sein als CEO, wenn man noch im Sommer 2011 dorthin in die Ferien fährt?!?!?!
-
Frau Sandra Niggli: Das Recht in den USA wird, wenn es nationale Interessen tangiert, meistens im Sinne des Staates USA ausgelegt. Und, sind die USA in der Machtausübung zimperlich? Vietnam? Guantanamo? Man mag Strähle mögen oder nicht mögen. Sache bleibt, dass er in den Fängen der US-Justiz war. Wie sie dann wirklich funktioniert um zu Aussagen zu gelangen, wissen nur die Betroffenen, die sich wahrscheinlich verpflichten müssen, nichts verlauten zu lassen.
-
-
Sehr schön gesagt. Nachfolgende filmreife Aussage eines Banken-CEO sagt wohl alles: „uns ist nicht die Mannschaft wichtig sondern nur das Schiff“ Na dann, viel Spass beim Segeln ohne Crew. Wir sehen uns auf Grund wieder.
-
Ja, viele Banker haben eine verzerrte Realitätswahrnehmung und die, die diese haben, sind nicht therapierbar. Nur ein allfälliger Schock kann hier ein Umdenken bewirken. Sie leben und arbeiten in einer Parallelwelt zur Realwirtschaft nach ganz eigenen Regeln. Nach über 20 Jahren Erfahrung mit dieser Spezies in mehreren Gross-, Genossenschafts- und Privatbanken und in den unterschiedlichsten Bereichen des Bankenwesens masse ich mir ein solches Urteil durchaus an. Am schlimmsten ist bei Tradern und Investmentbankern knapp gefolgt von Privatbankern und Analysten. Im Zahlungsverkehr riecht es am wenigsten nach selbstgefälligem Bankstertum.
Die Banken stehen seit längerem unter einem starken Einfluss von grossen Beratungshäusern und übernehmen immer deren Gepflogenheiten der Mitarbeiterbeinflussung, die nicht selten hart an der Grenze zur Gehirnwäsche ist. Mir ist mittlerweile keine Bank mehr bekannt, die keinen Filter in der Firewall eingebaut hätte, um die Mitarbeiter neben von Schadsoftware verseuchten Websites und Hartnackedeien auch vor unliebsamen Websites zu schützen, welche gegen die eigene Zunft gerichtete Kritik publizieren.
Ein Banker, der nicht die Augen vor der Realität verschliesst, kann in seinem Job gar nicht erfolgreich sein. Sonst müsste er sich eingestehen, dass er (nur) ein kleines Rädchen in einem globalen Finanz-Schneeballsystem ist, dessen Kollaps wir gerade miterleben dürfen.
Ja, viele Banker haben eine verzerrte Realitätswahrnehmung und die, die diese haben, sind nicht therapierbar. Nur ein allfälliger Schock kann…
Sehr schön gesagt. Nachfolgende filmreife Aussage eines Banken-CEO sagt wohl alles: "uns ist nicht die Mannschaft wichtig sondern nur das…
Diese Aufregung erstaunt mich. Ist schon vergessen, was wir doch alles an unloyalem Verhalten von Bankangestellten haben erleben müssen, wie…