Ich bin Teilnehmer an einem Symposium in Zürich zum Thema Führung und Ethik in Finanzunternehmen. Es ist Pause. Vorsichtig – um meinen Kaffee nicht zu verschütten – steuere ich einen der zahlreichen Stehtische in der grossen Halle an.
Ah, dort auf der Seite gibt es noch Platz. Ein Mann steht schon dort. Dunkel gekleidet, schlank, gepflegter Bart. Er begrüsst mich freundlich, und wir kommen ins Gespräch über das Inputreferat von vorher.
Ein ranghoher Vertreter der grössten Schweizer Bank hat die Strategie des Unternehmens vorgestellt und dann über den Verhaltens- und Ethikkodex gesprochen, wie er für die Mitarbeitenden aller Stufen gilt – Verwaltungsrat und Konzernleitung inklusive.
Ziel sei es, „unseren Kunden erstklassige Finanzberatung und Finanzleistungen anzubieten und für Aktionäre attraktive und nachhaltige Renditen zu erwirtschaften“. Ja – und „Kapitalstärke ist die Grundlage für unseren Erfolg“.
Mit dem Kodex werde eine Kultur gefördert, „in der ethisches und verantwortungsbewusstes Verhalten selbstverständlich ist. …. Vor allem müssen wir die Interessen von UBS, unseren Kunden und unseren Aktionären über unsere eigenen stellen.
„Wir halten die Gesetze, Vorschriften und Regelungen ein, wo immer wir leben, arbeiten und geschäftlich tätig sind. …. Wir tun alles, um eine Kultur zu schaffen, in der sich jeder willkommen, respektiert und als wertvoller Teil unseres Teams fühlt – überall bei UBS“.
Wir wissen, „dass unsere Stärke als Unternehmen von der Stärke unserer Mitarbeitenden abhängt“. Deshalb setzen wir alles daran, „hochtalentierte Fachkräfte für uns zu gewinnen, sie zu entwickeln und dabei zu unterstützen, ihre Fähigkeiten für die Weiterentwicklung unseres Geschäfts einzusetzen“.
Und „wir prüfen ständig, wie wir zum Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften beitragen können“.
Das Gesagte beschäftigt mich. Das System der Geschäftsstrategie mit unternehmerischem Fokus in einem kompetitiven Umfeld einerseits und andererseits das auf die Menschen bezogene System der ausführlich beschriebenen Regeln über Verhalten und Ethik; und dies im gegenseitigen Wechselspiel. Wie sagte der Referent doch: „Hochtalentierte Fachkräfte dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten für die Weiterentwicklung unseres Geschäfts einzusetzen.“
Im ethischen Kontext eine Instrumentalisierung dieser Menschen – oder eine willkommene Möglichkeit zur Förderung des eigenen Marktwerts junger Kaderleute? Was heisst dies für die normal beziehungsweise weniger Talentierten? Ist Talent denn lern- und entwickelbar?
Mein Gesprächspartner muss meine Gedanken gelesen haben. Er bezieht sich auf seine Funktion als Vorsteher eines mittelgrossen Unternehmens und berichtet, dass seine Leute – es seien nur Männer – mit ihren bestehenden Fähigkeiten und Neigungen erst mal in das Unternehmen eintreten.
Vielmehr wichtig ist die Bereitschaft, sich in das Unternehmen zu integrieren und dem übergeordneten Ziel zu dienen. Diesem Ziel zu dienen ist gleichzeitig die Unternehmensstrategie. Er als Geschäftsführer weist den Mitarbeitern Aufgaben zu, die ihnen nach Möglichkeit entsprechen. Von handwerklichen über betriebliche bis wissenschaftliche Arbeiten.
Wenn auch keine eigentliche kommerzielle Geschäftsstrategie besteht, wird doch grosser Wert darauf gelegt, dass das Unternehmen genügend rentiert, um das nötige Einkommen für die Gemeinschaft zu erzielen. Gearbeitet wird im Schnitt rund acht Stunden am Tag, dazu kommen gegen drei Stunden für gemeinsames Lesen und Meditieren.
Ja, und man darf sich keinesfalls bereichern oder Geschäftspartner bewusst täuschen; die erzeugten Produkte und Dienstleistungen sollen eher etwas unter dem Marktpreis veräussert werden.
Ich frage nach, in welcher Branche er denn mit seinem Unternehmen konkret tätig sei und ob es weitere dieser Art gäbe. „Ja“, meint er mit meiner zweiten Frage beginnend, „es sei durchaus vergleichbar mit lokal agierenden Tochtergesellschaften innerhalb eines international tätigen Konzerns“.
„Vielleicht eine Art Franchising?“ Mein Gesprächspartner lächelt. Der Gong ertönt, die Veranstaltung wird gleich weitergehen. Wir verabschieden uns und tauschen Visitenkarten aus.
Auf der seinen steht zu lesen: Benedetto di Norcia.
Natürlich haben Sie es erraten; es geht um die Regula Benedicti (RB) – die Benediktsregel. Mit ihrer konsequenten Ausrichtung, die Mitglieder einer Gemeinschaft – ursprünglich primär Laienbrüder, kaum Gelehrte – auf ihrem selbst gewählten Weg der Gottessuche zu fördern und zu unterstützen sowie mit der praktischen Anleitung für das Leben im klösterlichen Alltag prägt und beeinflusst sie seit 15 Jahrhunderten das Führungsgeschehen.
Insbesondere heute, im Zeitalter der Postmoderne, hat sie gerade im Kontext von Unternehmens- und Menschenführung mit ethischem Anspruch wieder hohe Aktualität erlangt. Sie berührt mit ihrer Ausgewogenheit, in ihrem Geerdetsein und in ihrer Weisheit (Grün, 2017, S. 9).
Im Verhaltens- und Ehrenkodex der UBS finden sich verschiedene übereinstimmende Werte. Wohl kein Zufall. Und Benedikt hätte es ums Jahr 500 nach Christus auf dem Montecassino kaum besser formulieren können: „Wir handeln fair, ehrlich und in gutem Glauben gegenüber allen, mit denen wir zu tun haben.“
Amen.
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Wertvolle Informationen.
Sehr guter Artikel! -
Ja, sie tun Gottes Werk. Gesagt ist gesagt.
https://web.archive.org/web/20091109090132/http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/us_and_americas/article6907681.ece -
Matthäus 7:15
15 Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reißende Wölfe.
16 An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen?
17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte.
18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, noch kann ein fauler Baum gute Früchte bringen.
19 Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
20 Deshalb, an ihren Früchten (… –> Bonikultur; Umgang mit dem Personal, usw …) werdet ihr sie erkennen.
21 Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist.
22 Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan?
23 Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter! -
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Benedetto di Norcia, der Ordensgründer der Benediktiner vor ca. 1500 Jahren, ward also leibhaftig an diesem Symposium gesichtet? Preiset den Herrn – Hallelujah!
Und ich hoffe, Du kannst das nächste Mal von einer Marien-Erscheinung berichten, lieber Bruder im Glauben. -
Ich frage mich was sich die Benedetto di Norcia von so einem Anlass erhofft hat.
Wahrscheinlich ist der Mann nicht auf die komplette Absurdität reingefallen.
Das ist doch die reinste Verhöhnung!
Nur nicht geistig sehr limitierte Leute glauben an das was der UBS Vertreter so von sich gibt.
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@Keller
„Nur nicht geistig sehr limitierte Leute glauben an das was der UBS Vertreter so von sich gibt“Woran glauben denn die geistig sehr limitierten Leute? An das was die zahlreichen Wirtschaftskritiker so von sich geben?
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„Es kommt aber auch in bedeutendem Masse vor, dass die Banken lediglich von den Kunden auf sie gezogene Wechsel akzeptieren, die dann zu günstigen Bedingungen diskontiert werden können. Bei solchen Krediten erscheinen in der Bilanz zwei Posten, der eine als Schuld unter Akzeptkonto in den Passiven, der andere als Forderung unter Debitoren in den Aktiven. Fast sämtliche Posten der Akzeptkonten der Handelsbanken sind auf diese Art entstanden.“ Quelle: Der Bankbetrieb und die Effektenbörse von Prof. Dr. E. Gsell, SKV Verlag, 1965.
Das bestätigt die Feststellung, dass die Geschäftsbanken „Geld aus dem Nichts“ schaffen.
Quelle: Betriebswirtschaftslehre Prof. Gsell, 1965 -
Benedikt bei UBS? Vielleicht im Keller bei Meili?
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Es gibt ein interessantes App, in dem die Benediktinerregeln vorgestellt und kommentiert werden:
Hora Benedicti
runterzuladen im App-Store
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Amen. Toller Erfahrungsbericht mit persönlichen Note.
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Die typische Heuchelei vom Corporate Big Shots! Unternehmerisch heisst, auf eigenen Risiken, der Chef weiss von den Risiken, ist aber denen nicht exponiert, die sollen die Bodensoldaten tragen und ausfiltern. Wie mit dem fehlenden Marktzugang, gemäss big shots wie Marcel Rohner: mit ein Bisschen Kreativität lässt sich alles umgehen. https://www.finews.ch/news/banken/31923-private-banking-day-eu-marktzugang-marcel-rohner
Bloss die Chefe zeigen keine Kreativität: same old same old corporate tosh. -
Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit.
Das ist der Grund,
warum die Menschen sich
vor ihr fürchten.Georg Bernard Shaw
* 26. Juli 1856 † 2. November 1950
Amen. Toller Erfahrungsbericht mit persönlichen Note.
Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, warum die Menschen sich vor ihr fürchten. Georg Bernard Shaw * 26. Juli…
Wertvolle Informationen. Sehr guter Artikel!