Am Donnerstag vor 3 Wochen, am Abend des 24. November, hielt es Christoph Ammann kaum mehr aus. Noch immer hatte der Präsident der Basler Privatbank Sarasin nichts aus Utrecht gehört. Was konnte das bedeuten?
Utrecht, das ist jener Ort in Holland, wo die Rabobank ihren Sitz hat. Nach einigen Jahren wollte das Genossenschaftsinstitut ihr 46-Prozent-Aktienpaket an Sarasin loswerden, zu gross war die Angst um den guten Ruf wegen allfälliger Schwarzgeld-Affären ihrer Schweizer Tochter.
Tausend Kilometer südlich von Utrecht wusste Ammann, dass im Rabo-VR eine Sitzung über den Verkauf anstand. Er wusste, dass die Zeit des Dealens abgelaufen war. Aber er wusste nicht, wer den Zuschlag aus Utrecht erhalten hatte. Die Leitung in die Schweiz blieb stumm.
Sarasin-Präsident Ammann tappte im strategischen Nebel. Und was war mit seinem CEO? Joachim Strähle hatte sich im monatelangen Ringen um die lukrative Braut exponiert. Nur über meine Leiche, liess er die Welt wissen, wenn die Rede auf die doppelt so grosse Zürcher Julius Bär kam. Wenn schon, dann mit dem Schweizer Rabo-Pendant Raiffeisen, ebenfalls eine Genossenschaft. Diese schien mit ihrer Idee, Sarasin und Vontobel zu verschweissen, in Utrecht zu punkten.
Strähle blieb am Donnerstag Abend stumm. Eine Sphynx. War er damals im Bild über den wenige Stunden später folgenden Ur-Knall im Schweizer Private Banking? Wusste der CEO im Unterschied zu seinem Präsidenten, wer der geheimnisvolle dritte Bieter war, über den die Presse spekulierte? „Strähle hatte ein Pokerface“, sagt ein Zürcher Banker, der die Umstände kennt. „Er liess alle im Ungewissen.“ Spielte Strähle ein Doppelspiel und verhandelte selbst mit der Käuferin?
Sarasin-Sprecher Benedikt Gratzl erklärt den Moment der grossen Funkstille wie folgt: „Wir wussten seit ein paar Tagen, dass die Rabobank mit der Safra in Detailverhandlungen war. Zu diesem Zweck holte Utrecht Zusatzinformationen bei uns ein. Aufgrund des Fahrplans rechneten wir bis spätestens Donnerstag Abend mit einem Feedback aus Holland oder zumindest mit weiteren Nachfragen. Das geschah nicht.“ Sowohl Präsident Ammann als auch CEO Strähle seien aber im Bild gewesen, dass Safra den Zuschlag von Rabo erhalten könnte.
Am Freitag folgte der Coup. Niemand – ausser vielleicht Strähle? – konnte bei Sarasin sicher sein, dass die brasilianische Safra das Rennen um das Rabo-Paket machen würde. Wie das bei der Grösse des Deals möglich war, darüber machte sich in der Hitze des Gefechts noch niemand Gedanken. Es war Action, alles musste schnell gehen: Die Sarasin-Anwälte der Zürcher Starkanzlei Homburger gaben den vorbereiteten Verträgen den letzten Schliff, die Sarasin-Investmentbanker der UBS regelten die Finanzierung des Deals, der bekannte Zürcher Professor und Mitglied wichtiger Finanz-Kommissionen, Hans Caspar von der Crone, stand Sarasin-Präsident Ammann zur Seite, um über keine Fussnote zu stolpern. Um 20 Uhr waren die Verträge unterzeichnet, Sarasin ging nach Sao Paulo, Zürich hatte das Nachsehen.
Am Tag darauf standen Präsident Ammann und CEO Strähle Journalisten der „NZZ am Sonntag“ Red und Antwort. Beide traten als verschworenes Team auf. Als die NZZ-Redaktoren CEO-Strähle gratulierten, mit dem Safra-Deal seinen Job zu retten, antwortete der: „Ich glaube nicht, dass Sie mir dazu gratulieren müssen. Sie können uns aber gratulieren, dass wir als eine der führenden Schweizer Privatbanken erhalten bleiben.“
Vom „Ich“ zum „uns“, von Solo-Läufer Strähle zum Tandem mit Präsident Ammann. Damit erweckte Strähle geschickt den Eindruck, dass er im Übernahme-Drama mit seinem Präsidenten am gleichen Strick in die gleiche Richtung gezogen hatte.
Der Eindruck täuscht. „Ammann und Strähle sind zwei Alphatiere“, sagt der Investmentbanker. „In einem Jahr ist Strähle weg.“ Das habe mit den neuen Eigentümern zu tun. „Die Safra-Banker sind für ihre brutale Führung bekannt.“
Für Strähle würde das heissen: schnell liefern oder dann gehen. Was der Sarasin-CEO mit seinem Widerstand gegen einen Deal mit Julius Bär geschafft hat, nämlich seinen eigenen Kopf zu retten, droht ihm nun mit Verzögerung bei den neuen Herren aus Brasilien.
Strähle, ein Ex-Credit-Suisse-Chef, hat in den letzten Jahren gepusht und gedrängt, um Sarasin mit 100 Milliarden Franken verwalteten Vermögen im Spiel zu halten. Das hatte seinen Preis. Viele der neuen Assets rentieren schlecht, der Gewinn von Sarasin ist unterdurchschnittlich.
Safra-Oberhaupt Joseph dürfte rasch die Schraube anziehen. Der 72-jährige weiss, wie man Geld macht. Gemäss Reichstenliste des US-Magazins Forbes ist er der drittreichste Brasilianer, weltweit liegt Safra mit über 11 Milliarden Dollar Vermögen auf Platz 68.
Gut möglich, dass der Poker mit dem steinreichen Safra für Strähle der letzte als Sarasin-Chef sein wird.
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