Insbesondere beim Investieren in spekulative Hebelprodukte wie Warrants wird vom Anleger viel Disziplin erfordert. Es gibt bekannte psychologische Hürden, die dies aber oft verhindern. Eines der bekanntesten Phänomene aus der Behavioral Finance ist die sogenannte Verlustaversion (Loss aversion). Dieses besagt, dass sich Investoren scheuen, Verluste einzugestehen und nicht bereit sind, ihre Wertpapiere unterhalb des Einstandspreises zu verkaufen. Diese psychologische Hürde kann am besten an einem Beispiel illustriert werden.
Angenommen, ein Anleger kauft Aktien zu 10 Franken, danach steigt der Kurs innerhalb kurzer Zeit auf 11 Franken, und der Anleger verkauft seine Position und freut sich über seinen Gewinn. Er erklärt sich den Gewinn mit seiner guten Prognosefähigkeit und ist zuversichtlich, dass auch seine nächste Investition ein Treffer sein wird (Attribution bias). Einige Wochen später ist die Aktie wieder bei 10 Franken, und der Anleger schlägt erneut zu, diesmal mit sogar mit einem höherem Betrag. Jedoch geht das Kalkül nicht auf und die Aktie fällt auf 9 Franken.
Der Anleger versucht sich zu beruhigen und redet sich ein, dass dies nur eine vorübergehende Schwäche ist und sich der Aktienkurs bald auf 10 Franken erholen wird (Anchoring). Als der Investor eine Woche später erneut den Aktienkurs kontrolliert, ist dieser aber weiter auf 8 Franken gefallen. Daraufhin sucht er im Internet nach Studien und Informationen zur Aktie. Er stösst dabei auf Analysen, welche einen Aktienkurs von 13 Franken voraussagen und einen Zeitungsartikel, welcher positiv über die Firma berichtet. Dies beruhigt ihn vorerst, und er sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt (selektive Wahrnehmung).
Als der Kurs jedoch weiter auf 7 Franken einbricht, versteht er die Welt nicht mehr. Er versucht Bestätigung von Freunden zu erhalten, dass die Aktie steigen wird und der jetzige Preis der Aktie deutlich zu tief ist. Aufmunternde Aussagen seiner Kollegen vermögen den Anleger zu beruhigen, und das Thema ist vorlest erledigt (kognitive Dissonanz). Als jedoch am Markt erneut negative Indikatoren angezeigt werden und der Aktienkurs weiter auf 6 Franken fällt, ist er völlig verstört und beobachtet fassungslos die fallenden Kurse.
Als der Aktienkurs die 5-Franken-Marke touchiert, beschliesst er in einer Kurzschlussaktion den Einstandspreis zu drücken (Dispositionseffekt), indem er noch mehr dazukauft. Kurzfristig scheint die Strategie aufzugehen und der Kurs erholt sich tatsächlich wieder. Schliesslich fällt der Aktienkurs jedoch in die Region von 4 Franken, und seine Anlage wird von ihm mental abgeschrieben und er verdrängt sein Investment. Er nimmt sich vor, den Aktienkurs erst in einigen Jahren wieder zu kontrollieren und will vorerst die Finger vom Aktienmarkt lassen. Zudem sucht er Gründe für sein Versagen in den falschen Analystenberichten und bei seinem Berater, der ihn von einem Nachkaufen hätte abhalten sollen (Attribution bias).
Da sich der Anleger seine Fehler nicht eingestehen will, löst er die Position nicht auf, da er sonst die Verluste und die Konsequenzen seiner Fehler endgültig realisieren würde. Diese Verlustaversion ist in ihm drin verankert und verhindert, dass er vorzeitig mit beschränktem Verlust verkauft. Man spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass er risikoavers agiert, das heisst bei Gewinnen vorzeitig verkauft und bei Verlusten risikofreudig handelt und zu lange nicht verkauft (Prospect theory).
An der Derivatebörse Scoach in Zürich sind per dato 25’000 Strukturierte Produkte kotiert, die zur Kategorie der Hebelprodukte gehören. Davon sind 18’000 Warrants, 3’000 Knock-out Warrants und 4’000 Mini-Futures. Dazu kommen noch 38’000 ausserbörsliche Swiss Dots Produkte auf Swissquote. Es werden also Varianten ohne Knock-out-Schwellen (Warrants und Faktorzertifikate) wie auch solche mit Knock-out angeboten (Mini-Futures und Knock-out Warrants).
Würde ein Anleger, der in Hebelprodukte investiert, genau so handeln wie im Aktienbeispiel, würde dies meist in einem Totalverlust enden.
Die beliebten Warrants haben einen Verfallstag. Steht der Kurs am Laufzeitende nicht im gewünschten Bereich, verfallen diese wertlos. Bei Mini-Futures und Knock-Out-Warrants führt dies ebenso schnell zu einem Totalverlust, da die Produkte eine vordefinierte Knock-Out-Schwelle besitzen. Wird diese berührt, verfallen die Produkte sofort wertlos.
Somit wären Aktien- und Hebelprodukte-Anleger besser beraten, wenn sie von Anfang an mentale Verlustlimiten setzen würden. Stop-Loss-Orders funktionieren aufgrund des Börsensystems leider nicht an der Scoach Schweiz.
Ein weiterer Fehler beim Anlegen mit Hebelprodukten ist der Kauf von sogenannten Penny Warrants. Investoren erwerben beispielsweise Call-Warrants, die nur noch wenige Rappen kosten. Dabei handelt es sich um weit aus dem Geld liegende Derivate, die nur noch einen geringen Zeitwert aufweisen und für den Investor billig aussehen (Framing). Der Anleger hofft auf einen möglichst grossen Wertzuwachs: Stiege das Produkt beispielsweise von 0.02 auf 0.03 Franken, so würde er 50 Prozent Gewinn einfahren. Hierbei wird jedoch oft vergessen, dass das Produkt effektiv 2 Rappen zulegen müsste, da er zu einem Geld-Brief-Kurs von 0.01/0.02 Franken kauft und zu 0.03/0.04 Franken verkauft.
Eine solch grosse Bewegung des Optionsscheins ist nur dann möglich, wenn der zugrundeliegende Basiswert extrem hohe Kursbewegungen zeigt, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist oft sehr gering (Probability misestimation). Da solche Call-Warrants zudem meist eine relativ kurze Restlaufzeit aufweisen, ist diese Wette oft schon im Voraus verloren. Weil der Investor zudem versucht, am Einstandspreis festzuhalten (Anchoring), wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Totalverlust erleiden.
Generell werden allzu oft Produkte mit zu kurzer Restlaufzeit erworben, das heisst weniger als ein Monat vor Verfall. Aufgrund des markant zunehmenden Zeitwertverfalls gegen Ende der Laufzeit ist Vorsicht geboten. Auch hier gilt: Geht das Kalkül nicht innerhalb von wenigen Tagen auf, sollte der Verlust realisiert werden.
Viele Privatanleger versuchen zudem ihr Glück mit Kleinstbeträgen und investieren einige wenige hundert Franken in ein Hebelprodukt. Mit einer Investition von beispielsweise 200 Franken müsste der Trader sowohl beim Kauf als auch beim Verkauf je nach Anbieter zwischen 20 und 50 Franken Gebühren berappen. Somit müsste das Produkt, nur schon um die Courtagen wettzumachen, zwischen 20 und 50 Prozent zulegen. Meist sind solche Kleinstwetten deshalb schon im Voraus zum Scheitern verurteilt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Es ist meist besser, Verluste zu realisieren, solange sie noch klein sind. Doch die Psychologie der Investoren macht einem oft einen Strich durch die Rechnung. Weitere psychologische Einflussfaktoren sorgen dafür, dass Anlagen in Hebelprodukten im Totalverlust enden können. Diese aus dem Behavioral Finance bekannten Hürden gilt es zu verstehen und zu umgehen. Dazu dienen beispielsweise vordefinierte mentale Stop-Loss-Schwellen. Dazu gehört aber viel Disziplin.
Bei Aktien kann die Verlustaversion relativ einfach mittels Setzens eines Stop-Loss-Orders umgangen werden. Steigt der Aktienkurs, kann diese Limite sogar nachgezogen werden (Trailing Stop Loss).
Sehr geehrter Herr König
Besten Dank für Ihren interessanten Beitrag.
Sie geben ein theoretisches Beispiel: Jemand realisiert in einem ersten Geschäft einen Gewinn. Angeheizt durch diesen Erfolg investiert er später mit einem noch grösseren Betrag. Er liegt falsch, will das aber nicht wahrhaben. Er sucht entsprechende Argumente (selektive Wahrnehmung). Er kauft hinzu, um den Einstandspreis zu drücken undsoweiter. Am Schluss entsteht das vollkommene Debakel. Aber auch das verdrängt er.
Sie haben ein theoretisches Beispiel gezeigt mit einem Betrag von CHF 10.-. Darf ich ein ganz nahes Beispiel mit einem Betrag von über 400 Milliarden nennen?
Unsere Nationalbank hat mit einem „kleinen“ Betrag von 20 Milliarden Franken sogenannte „Schrottpapiere“ der UBS übernommen. Offenbar ist ihr ein gutes „bottom fishing“ gelungen und sie konnte die Papiere über die Jahre hinweg mit einem bescheidenen Gewinn abstossen (bei sehr hohem Risiko).
Angestachelt von diesem Erfolg investierte sie darauf das Zehnfache davon in Euro bei einem Kurs von ca. 1.40. Dieser Kurs war in den Jahren zuvor immer eine solide Basis. Möglicherweise hatte die SNB auch hochspekulative Optionen geschrieben und wurde von den Gegenparteien ausgeübt. Deshalb musste sie so viele Milliarden Euros kaufen. Ein PUK sollte dies prüfen.
Die SNB lag falsch. Der Euro fiel. Die SNB kaufte noch mehr Milliarden Euros, um den Einstandspreis zu senken. Sie hat nur noch eine selektive Wahrnehmung. Bundesrat und Exportindustrie werden ins Boot geholt (politisch dubioses „Franken-Rütli“, „Währungskrieg“, siehe NZZ). Es wird ausschliesslich von den Nachteilen eines starken Franken gesprochen. Die positiven Aspekte werden übersehen (selektive Wahrnehmung).
Die SNB führt die Untergrenze ein. Das Volk wird beruhigt (Sand in die Augen). Die SNB prognostiziert, der Euro würde bis Ende Jahr (2011) auf 1.30 steigen. Fehlanzeige. Die SNB muss nochmals mit hunderten Milliarden an den Devisenmärkten intervenieren und besitzt nun Devisen im Betrag von über 400 Milliarden (Dispositionseffekt).
Die SNB beruhigt weiter, man könne diese Untergrenze problemlos halten, weil die SNB „unbegrenzt“ Banknoten drucke könne (Prof. Dr. em. Ernst Baltensperger, SNB-Berater in der NZZ). SNB und Bundesrat behaupten, die SNB könne „unbegrenzt“ „Liquidität“ schaffen (SVP-Motion) und verwechselt dabei Vermögen und Bankschulden der Nationalbank miteinander.
Vorübergehende Aufwertungen des Euros werden an die grosse Glocke gehängt und in der Presse breitgeschlagen. Dass bezogen auf den Einstandspreis ein riesiger Verlust besteht wird verschwiegen.
Sie schreiben: „Da sich der Anleger seine Fehler nicht eingestehen will, löst er die Position nicht auf, da er sonst die Verluste und die Konsequenzen seiner Fehler endgültig realisieren würde. Diese Verlustaversion ist in ihm drin verankert und verhindert, dass er vorzeitig mit beschränktem Verlust verkauft.“
Unsere Nationalbank verhält sich exakt so, wie Sie es beschreiben.
Es ist zu befürchten, dass auch unsere SNB ihre Fehlinvestitionen nicht eingesteht (prospect theory). Sie hofft, dass der Euro wieder auf den Einstandspreis klettert, bei dem sie eingekauft hat. Dort will sie verkaufen. Geschieht das nicht und schwächt sich der Euro weiter ab, so ist das Debakel für die Schweizer Wirtschaft programmiert. Die SNB will ja „unbeschränkt Euros kaufen“ (vielfach wiederholtes Zitat der SNB).
Unsere Wirtschaft wird an dieser und den kommenden prognostizierten Fehlinvestitionen der SNB verbluten.
Hoffen wir, die SNB kann über ihren Schatten springen; d.h. ihre Fehlinvestition zugeben und ihre Euros noch frühzeitig abstossen.
Mit freundlichen Grüssen
Marc Meyer