Lieber Banker, liebe Bankerin,
der Jahreswechsel führt uns einmal mehr vor Augen, wie unerbittlich die Zeit voranschreitet. Viele von uns fühlen, wie sich der digitale Wandel derzeit beschleunigt. Mit der Aufregung um Fintech hat die Aufbruchsstimmung endgültig auch die Finanzbranche erreicht. Dass es dabei nicht nur Gewinner geben wird, dürfte jedem einleuchten.
Beispiele von radikalem Strukturwandel gibt es schliesslich viele. So wurden Flüge und Hotels früher im Reisebüro gebucht. Heute kommen hingegen mehrheitlich Internetportale zum Zug. Unzählige Reisebüro-Mitarbeiter verloren dabei ihren Job. Wird der digitale Tsunami das gleiche Unheil im Finanzsektor anrichten?
Die gute Nachricht zuerst: Das Finanzwesen an sich ist beständig.
Auch in absehbarer Zukunft werden Menschen und Unternehmen Kapital benötigen, während gleichzeitig andere derzeit überschüssiges Kapital zur Verfügung haben. Zudem müssen weiterhin finanzielle Angelegenheiten organisiert und Zahlungen abgewickelt werden. Eine Welt ohne Finanzinstitutionen ist unvorstellbar.
Es stellt sich allerdings die Frage, wer die finanziellen Dienstleistungen in zehn oder zwanzig Jahren erbringen wird? Können bürokratische Grossbanken sich halten, die ein veraltetes Geschäftsmodell mit einer historisch gewachsenen Infrastruktur betreiben? Oder werden innovative Technologieunternehmen den Markt übernehmen, wie es bereits in anderen Branchen passiert ist?
Bevor Sie jetzt mit Bangen zu den Fintech-Unternehmen blicken: Erfahrungen aus anderen Branchen können nicht eins zu eins auf unsere Industrie übertragen werden. Das Finanzwesen ist eng mit staatlichen Institutionen verknüpft. Die Krise von 2007-08 hat gezeigt, dass Banken umfangreiche Garantien geniessen. Zudem können sie sich jederzeit zu Vorzugskonditionen Geld bei der Zentralbank leihen.
Die Kehrseite dieser Medaille: Finanzinstitute werden strikte reguliert.
Es existiert eine Fülle an Regeln, die es in diesem Ausmass vielleicht nur noch in der Pharmaindustrie gibt. Viele der Finanzregulierungen müssen von den neuen Fintech-Unternehmen ebenfalls erfüllt werden, obwohl sie nicht in den Genuss umfangreicher Staatsgarantien kommen; auch der privilegierte Zugang zur Nationalbank bleibt ihnen verwehrt.
Die Fintech-Unternehmen sind derzeit also gegenüber den grossen Traditionshäusern benachteiligt. Für Sie, liebe Bankerinnen und Banker, besteht somit vorderhand kein Anlass zur Sorge. Die „jungen Wilden“ mögen wohl frei von Altlasten und exzessiver Bürokratie sein. Gegen die geballte Macht hoheitlicher Privilegien können sie dennoch nicht viel ausrichten. Dies ist der fundamentale Unterschied zu anderen Branchen: Als Online-Buchungsplattformen den Markt aufmischten, konnten die traditionellen Reisebüros nicht auf staatliche Hilfe hoffen.
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Allerdings ist der gesetzliche Rahmen keineswegs in Stein gemeisselt. Die Regulierung ist am Ende das Resultat eines politischen Prozesses. Sollte das Regelwerk nochmals versagen und eine weitere Finanzkrise das verbliebene Vertrauen in das Bankenwesen erschüttern, dann dürfte sich die politische Lage rasch ändern – die jüngst zustande gekommene Vollgeldinitiative kann dabei als Warnschuss verstanden werden. Die Zukunft des heutigen Finanzwesens steht und fällt damit, wie gut eine weitere Krise verhindert werden kann.
Bei Ihrer Arbeit können Sie nun die Funktionsweise der zahlreichen Regeln tagtäglich beobachten. Was denken Sie, sind all die neuen Regulierungen zielführend? Auch Sie dürften wohl schon an der Effektivität vieler – wenn nicht der meisten – Regeln gezweifelt haben. Meine eigenen Erfahrungen und Recherchen zeigen: Seit mehr als dreissig Jahren werden permanent neue Vorschriften für den Finanzsektor eingeführt. Das Resultat ist jedoch ernüchternd. Gewiefte Banker finden immer wieder Schlupflöcher oder erfinden Finanzprodukte, um Regeln zu umgehen. Darauf reagieren die diversen Aufsichtsbehörden dann wieder mit noch detaillierteren und aufwendigeren Vorschriften.
So wurde Basel I ad absurdum geführt und der gewünschte Effekt von Basel II noch vor der vollständigen Einführung neutralisiert. Basel III wird am Ende dasselbe Schicksal ereilen.
Das Katz- und Mausspiel zwischen Banken und Aufsichtsbehörden hat sich zudem mit der Digitalisierung beschleunigt. In der Folge ist ein Dickicht an Regeln entstanden, vor dessen Undurchdringbarkeit sogar das Amazonasbecken vor Neid erblassen dürfte.
Wir befinden uns heute mitten in einer perversen Regulierungsdynamik.
Statt für bessere Dienstleistungen werden neue Technologien nur zu oft dazu eingesetzt, missliebige Regulierungen zu umgehen. Statt Effizienz und Transparenz zu erhöhen, führt der technologische Fortschritt im Finanzwesen zu höherer Komplexität. Risiken werden nicht klar verteilt, sondern bis zur Unkenntlichkeit verschachtelt und neu verpackt. Die Parallelen zu den frühen 2000er Jahre sind frappant.
Ein so reguliertes Finanzwesen hat keine Zukunft. Der Regulierungsaufwand steigt stetig, während das System weder stabiler noch besser wird. Das überkommene und wirkungslose Regelwerk wird eine weitere Finanzkrise nicht überstehen. Die grossen Umwälzungen stehen uns damit noch bevor, wie ich im Buch The End of Banking im Detail ausführe.
Als Teil der Finanzbranche gilt es daher, sich darauf vorzubereiten, dass der ganze Zirkus um die Bankenregulierung irgendwann zu Ende geht. Eines Tages werden sich die Marktkräfte wieder Bahn brechen.
Falls Ihre tägliche Arbeit nun beinhaltet, regulatorische Vorschriften mit zweifelhaftem Sinn und Zweck umzusetzen, könnten Sie zu den Verlierern gehören. Dies betrifft leider eine zunehmende Anzahl von Bankmitarbeitern. Schliesslich werden immer mehr Ressourcen ver(sch)wendet, um die operativen, markt- oder kreditbasierten Risiken nach Basel III Standards zu berechnen oder zu „optimieren“. Zusätzliches Personal wird eingestellt, um Stresstest-Projekte zu leiten oder das Volcker-Reporting zu erstellen. Sind Sie in einem solchen Bereich tätig, könnte Ihnen dereinst dasselbe Schicksal blühen, wie einem Reisebüromitarbeiter um die Jahrtausendwende.
Glücklicherweise sind all das auch jene Tätigkeiten, die viele von uns im Beruf zunehmend frustrieren; wie oft haben wir schon über eine weitere sinnlose Regulierung geflucht. Die kreativen Bereiche dürften hingegen eine Aufwertung erfahren. Auch quantitative Jobs wird es weiterhin geben. Keine Sorgen müssen sich am Ende all jene machen, die nicht von Regulierung getriebene, sondern vom Markt geforderte Lösungen entwickeln – beispielsweise in den Bereichen Zahlungsverkehr, Kreditvermittlung, oder Kapitalmärkte.
Die kommenden Umwälzungen im Finanzwesen dürften also nicht nur für Kunden und Steuerzahler willkommen sein. Auch innovative Banker werden davon profitieren. In einem Finanzsystem, das auf echtem Wettbewerb und nicht auf überholter Regulierung aufbaut, wird es mehr Platz für neue Ideen geben.
Wenn das nicht einmal gute Nachrichten für die Zukunft sind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen einen guten Rutsch ins 2016 und ein frohes neues Jahr,
Jonathan McMillan
Hinter dem Pseudonym Jonathan McMillan stehen ein Investmentbanker und ein Ökonom, die zusammen das Buch „The End of Banking: Money, Credit, and the Digital Revolution“ publiziert haben. Hier bestellen.
Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Viele Politiker, auch in der Schweiz, bis leider weit in das bürgerliche Lager hinein sind immer noch der falschen Ansicht, dass immer mehr Regulierung zu mehr Sicherheit im Finanzbereich führt. Ganz extrem wurde in Deutschland im Finanzbereich reguliert. Das hat zur Folge, dass die Finanzindustrie Kunden unter 2 Mio gar nicht mehr beraten will, weil ihr die Risiken zu gross und die Erträge aus der Beratung zu klein sind. All diese Regulierungen (Deckmantel Konsumentenschutz und Finanzmarktstabilität) werden nicht verhindern, dass es zu weiteren Banken- und Finanzkrisen kommen wird in Zukunft. Auch nach dieser nächsten Krise wird es Anleger und Banken geben, die Geld verloren haben. Wer das nicht will, müsste die Banken gänzlich verstaatlichen wie im Kommunismus. Diese verstaatlichten Banken würden dann alle auch das gleiche wenige anbieten. Einheitsbrei also für die Kunden, wie ihn übrigens eine starke Regulierung auch hervorbringen wird. Alle haben nur noch Angst ! Wollen wir das wirklich ?
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@ Ueli
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass unsere Filialen und Tochtergesellschaften im Ausland nicht durch die Schweiz reguliert werden, sondern durch das Domizilland:
http://www.private.ch/media/docs/private/2015/06/de/15_regulierungsflut_eindaemmen.pdf
Un nehmen Sie weiter zur Kenntnis, dass die hiesigen Regulative weit weniger stringent sind als im Ausland. Sprechen Sie einmal mit Praktikern, die z.B. auf dem Finanzplatz Singapore eine Vermögensgesellschaft gegründet haben und mit Erfolg führen. Sie dürfen den Schweizer Finanzplatz nicht mit jenen Eldorado Plätzen in Bananenrepubliken vergleichen! Sie müssen Gleiches mit Gleichem vergleichen!
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Es sind die Notenbanken mit ihren Markt- und Preisverzerrungen selbst, die mit der Fokussierung auf Wirtschaftsförderung und selbstdefinierten Inflationszielen (anstatt hinzunehmen, daß zu Zeiten von geringem Wirtschaftswachstum eben auch die Inflationsraten niedrig sind) das klassische Bank-, Spar- und Kapitalanlagegeschäft vernichten.
Eben die Differenz zwischen Guthaben- und Kreditzins über Risiko- und Fristentransformation oder daß der Zins seine Funktion als Preis für Kapitalüberlassung bzw. Preis für ein übernommenes Risiko verloren hat.
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Wahrscheinlich werden Banken zukünftig eben nicht mehr umfangreiche Garantien geniessen und sich jederzeit zu Vorzugskonditionen Geld bei der Zentralbank leihen können.
Ansonsten sollte sich die Branche ernsthaft überlegen, ihr Geschäftsmodell hin zu einfachen und transparenten Dienstleistungen hin zu entwickeln. Der Verkauf von Mogelpackungen, Standard der letzten 30 Jahre, aufgrund der damit einhergehenden Fehlentwicklungen und Verluste die Regulierung umfangreich verschäft wurde, hat keine Zukunft mehr.
Zumal sich einzelne Volkswirtschaften durch Verluste im Bankwesen und an den Finanzmärkten längerfristig ins Abseits manövriert haben (Japan, Spanien).
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Als Kundin wünsche ich mir eine normale Bank. Eine, die für angemessene, nicht übertriebene aber korrekte Gebühren meinen Zahlungsverkehr zuverlässig erledigt, mein Geld sicher aufbewahrt, und freundlich und hilfsbereit ist, wenn ich ein Anliegen habe.
Darum auch mein Ja zur Vollgeldinitiative, weil die die Schaffung von reinen Zahlungsverkehrskonten ermöglicht, wo dann mein Geld sogar mein Geld ist und bleibt, und sich nicht mehr auf ein Versprechen der Bank beschränkt, mein Geld zu zahlen, wenn ich das wünsche – ein Versprechen, das bekanntlich nicht eingehalten werden kann, wenn es hart auf hart kommt, unter heutigen Verhältnissen, wie man in Griechenland und Zypern sehen konnte.
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„Erfahrungen aus anderen Branchen können nicht eins zu eins auf unsere Industrie übertragen werden.“
Doch.
Die Finanzindustrie ist allerdings nicht die erste die sich in falscher Sicherheit wiegt. Telekom, Musik, Video, Bücher, Zeitungen, Reiseanbieter-/Büros, Detailhandel, Post (!), Taxis, Hotels, …
Die Finanzindustrie hat gegenüber all den genannte Branchen zudem den grossen Attraktivitätsfaktor „hohe Margen“. Eine Branche die dank ihrer sprichwörtlichen Intransparenz weiterhin Bruttomargen von 30% kassiert schreit geradezu danach, dass irgendjemand die Wertschöpfungskette neu zusammensetzt und effizienter gestaltet.
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@Beobachter: Zum ausgezeichneten Leitartikel ein ebensolcher Kommentar, danke. Auch ich glaube, dass das konventionelle Bankensystem dem Niedergang geweiht ist. Das wird, Systemzusammenbruch vorbehalten, nicht von heute auf morgen passieren, aber die Geschwindigkeit, mit der das System dem Abgrund zuschreitet, nimmt zu. Einen wesentlichen Anteil daran hat die Materialisierung aller Werte, sprich die Bonusunkultur. Die weichen Werte (oft Sozialkompetenz genannt) gelten nichts mehr, dabei lebt das vorherrschende System ja von Menschen. Ein System ohne Menschen wird das Resultat sein, eben: Banking is essential, the bank(er)s are not. Wer auch immer diesen gescheiten Spruch gesagt haben soll.
Detail: „Gewiefte Banker finden immer wieder Schlupflöcher oder erfinden Finanzprodukte, um Regeln zu umgehen“. Das gilt auch für Bundesgerichtsentscheide. Ich meine die Retrozessionen. Davon kann ich ein Lied singen.
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"Erfahrungen aus anderen Branchen können nicht eins zu eins auf unsere Industrie übertragen werden." Doch. Die Finanzindustrie ist allerdings nicht…
Als Kundin wünsche ich mir eine normale Bank. Eine, die für angemessene, nicht übertriebene aber korrekte Gebühren meinen Zahlungsverkehr zuverlässig…
@Beobachter: Zum ausgezeichneten Leitartikel ein ebensolcher Kommentar, danke. Auch ich glaube, dass das konventionelle Bankensystem dem Niedergang geweiht ist. Das…