Vor zwei Wochen wurde hier vermeldet, dass das Amt für Wirtschaft und Arbeit am Zürcher Standort von EY gemäss Insidern offenbar Ermittlungen zur Thematik Sonntagsarbeit/gesetzliche Höchtstarbeitszeiten aufgenommen hat.
Es wäre aber falsch, sich nur auf die „Big Four“ einzuschiessen. Für viele Branchenkenner ist es ein offenes Geheimnis, dass auch bei Banken, Anwaltsgrosskanzleien oder in Industriebetrieben – je nach interner Abteilung – überlange Arbeitstage oder Wochenendarbeit öfters zum courant normal gehören.
Wobei sich Betroffene trotz Unzufriedenheit nicht wehren.
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass Überstunden und Überzeit dasselbe seien. Dies ist eindeutig falsch. Überstunden sind privatrechtlicher Natur und in Art. 321c OR geregelt.
Überzeit ist hingegen eine Frage des öffentlichen Arbeitsrechts und stellt eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit dar, die pro Woche – je nach Branche und Tätigkeit des Arbeitnehmers – 45 oder 50 Stunden beträgt (Art. 9 Abs. 1 ArG).
Die Abgeltung von Überstunden kann problemlos durch eine arbeitsvertragliche All-Inclusive-Abrede ausgeschlossen werden. Bei der Überzeit ist dies jedoch nicht möglich.
Mit anderen Worten kann gültig vereinbart werden, dass in einem Betrieb mit einer 40-Stunden-Woche alle Überstunden bis zum Erreichen der Limite von 45 oder 50 Stunden nicht entschädigt werden.
Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit über dem gesetzlichen Maximum von 45 oder 50 Stunden ist dies jedoch nicht möglich. Die darüber liegenden Arbeitsstunden bilden Überzeit und sind zwingend mit einem Lohnzuschlag von 25% zu vergüten.
Bei Sonntagsarbeit gar mit einem solchen von 50%.
Eine Ausnahme besteht primär für sogenannt höhere leitende Angestellte, wobei als solche fast nur Mitglieder der obersten Chefetage mit besonders weitreichenden Entscheidbefugnissen gelten – und bei Weitem nicht jeder Kadermitarbeiter.
Die Rechtslage in dieser Hinsicht ist ziemlich klar und es gibt im Arbeitsrecht auch relativ viel Rechtsprechung. Die meisten Prozesse betreffend Überzeit (oder auch „normalen“ Überstunden) scheitern denn auch nicht an der Rechtslage, sondern an der Beweisbarkeit.
Betroffenen ist sehr anzuraten, ihre Arbeitszeit stets detailliert und wahrheitsgetreu zu erfassen und die entsprechenden Dokumente zu archivieren.
Wenn es eine betriebsinterne Software gibt, ist dies relativ einfach sowie primär eine Disziplinfrage.
(Wird man in der Folge – was hin und wieder geschieht – vom Arbeitgeber aufgefordert, tiefere Zeiten einzutragen, sollte man zu Beweiszwecken schriftlich/per Mail protestieren. Was einem natürlich leichter fällt, wenn der Konflikt bereits schwelt und man ohnehin nicht mehr „ewig“ bei besagtem Arbeitgeber bleiben will.)
In Betrieben ohne Zeiterfassung wird es schwieriger, aber nicht unmöglich. Hier wäre anzuraten, ein persönliches Tagebuch/Arbeitstabellen zu führen sowie den Vorgesetzten bei mehrmaliger Überschreitung der Höchstarbeitszeit – wiederum schriftlich/per Mail – um eine Reduktion der Arbeitslast zu bitten.
Auch dies sind Korrespondenzen, die vor Gericht Gewicht haben können.
In prozessualer Hinsicht ist jedenfalls anzumerken, dass in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bis zu 30’000 Franken Streitwert keine Gerichtsgebühren anfallen und man nur den eigenen Rechtsbeistand zu bezahlen hat (sowie bei Unterliegen jenen der Gegenpartei).
Genau darum wird im Arbeitsrecht oft eine sogenannte Teilklage eingereicht und nicht von Anfang an der ganze Betrag eingeklagt.
Dies ist in der Praxis oft ein genug gewichtiges Druckmittel, um sich auch über die Restforderung zu einigen. Und auch wenn nicht: Klar bleibt, dass es Mittel und Wege gibt, die eigenen Kosten und Risiken tief zu halten.
Abschliessend noch ein anderer Gedanke: Aus freiheitlicher Sicht bestehen gute Gründe, gesetzliche Höchstarbeitszeiten ganz grundsätzlich zu kritisieren. Und zwar nicht nur, weil diese die Vertragsfreiheit einschränken, sondern auch historisch-kontexuell.
Denn ursprünglich wurden Höchstarbeitszeiten im Zuge der Industrialisierung eingeführt, um Leib und Leben von Fabrikarbeitern zu schützen. Die damaligen Zeiten lagen bei 65 oder 70 Stunden, denn klar ist, dass ab einer gewissen Schwelle die natürliche menschliche Belastungsgrenze erreicht ist und darüber die Gesundheit zwingend leidet.
Es wäre aber völlig absurd zu behaupten, Arbeit von mehr als 45 oder 50 Wochenstunden sei grundsätzlich gesundheitsschädlich. Vielmehr ist entscheidend, ob ein Arbeitnehmer privat ein intaktes Sozialleben oder einen sportlichen oder anderweitigen Ausgleich hat.
Die besten Gesetze können das Individuum nicht von der Eigenverantwortung entbinden. Womit feststeht, dass die aktuellen gesetzlichen Höchstarbeitszeiten letztlich die freie Marktwirtschaft angreifen, die uns den Luxus einer Fünftagewoche überhaupt erst ermöglicht hat.
Im Ergebnis entbehren sie jeder ökonomischen Realität. Jeder erfolgreiche Selbständigerwerbende arbeitet bei einem Vollzeitpensum pro Woche mehr.
Dies heisst aber nicht, dass es moralisch gut wäre, gesetzliche Höchstarbeitszeiten einfach so zu verletzen.
Nicht nur, weil es um die Rechte des Arbeitnehmers geht. Sondern auch und gerade, weil ehrliche und gesetzestreue Unternehmen darunter leiden, wenn ihre Konkurrenz sich über geltendes Recht hinwegsetzt.
Mit anderen Worten: Fährt jemand im Strassenverkehr zu schnell, weil er die Tempolimiten für unnötig freiheitsfeindlich hält, kommt niemand langsamer ans Ziel. Wenn ein Unternehmen aber Höchstarbeitszeiten verletzt und deswegen günstiger offerieren kann, erleidet jene Konkurrenz Gewinneinbussen, die sich ans geltende Recht hält.
Vorteil durch Rechtsbruch ist zurecht ein wettbewerbsrechtlicher Tatbestand und für die Nichteinhaltung von Arbeitsbedingungen gar explizit gesetzlich geregelt (Art. 7 UWG).
Eine spannende Frage wird sein, was passiert, wenn dereinst beispielsweise eine kleinere Vermögensverwaltung ein grösseres Konkurrenzunternehmen gestützt darauf ins Recht fassen würde.
Dies könnte Fragen aufwerfen, die über den einzelnen Arbeitnehmer hinausgehen. Und neue Dynamik in die Sache bringen.
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Das ist unsere Zeit. Die Leute werden ausgebeutet, aber der Gesetzgeber deklariert das einseitig als legal. Dann setzt man noch einen drauf und entzieht der Kritik an dem Urheber des Rechtszustandes die Luft: es sei ja demokratisch, also Klappe zu. Dann schreibt man nicht ein schönes Motto in Arbeitsschutzgesetze und tut so als ob die Leute zu doof wären ihr Recht zu bekommen, während die Rechtspraxis tatsächlich nach anderen Regeln organisiert wird. Das weiss auch jeder Praktiker.
Soweit also nichts besonderes, läuft überall so.
Die (Eliten der) Schweiz setzen/setzt bei allem noch eine Schippe drauf. Beispiel: Ganz schwacher Kündigungsschutz. Und gleichzeitig alles sogar total basisdemokratisch.
Ja, die Leute mögen richtig hart ranngenommen werden. Das ist die Freiheit die wir meinen.
Für diesen etwas karrikaturmäßigen Humor liebe ich „die Schweiz“ einfach.
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Eine andere Big musste nach dem wohl gleichen Theater mit dem Arbeitsamt das Stundenerfassungstool quasi „plombieren“, damit am Sonntag nichts eingetragen werden konnte. Zudem liess es nicht mehr als 12 Stunden pro Tag an den anderen Tagen zu. Fazit, man hat es einfach sonstwie verteilt. Sofern man die Stunden aufschreiben durfte, natürlich, das war nämlich nicht selbstverständlich.
Reklamieren zwecklos, die Haltung war jeweils, dass man nunmal Prioritäten setzen lernen müsse und „einfach eins nach dem anderen“ erledigen. Sprich, MA sind selber schuld, wenn sie mehr Arbeit als verfügbare Zeit haben. Die vielen Leerläufe, die oft mehr mit dem Statusbedürfnis gewisser Partner und Director zu tun hatten als Mehrwert für den Kunden, waren natürlich in keinster Weise ein Grund für den ganzen Stress. Genausowenig wie die Unfähigkeit, vernünftiges Knowledge Sharing zu betreiben oder mangelnde Kommunikation von Zuständigkeiten. Nö, definitiv nicht, alles die Schuld der MA.[/sarcasm]
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Einen interessanten juristischen Link haben Sie allerdings ausgelassen. In der Causa EY geht es oftmals auch um Überzeit jenseits der gesetzlichen Grenzen (Art. 12 Abs. 2 ArG). Die Tatsache, dass sich eine Firma dort Ressourcen bedient über die sie gesetzlich nicht verfügen darf und die somit gar nicht Bestandteil des Arbeitsvertragsverhältnisses sein können, eröffnet die Frage, ob anstelle des UWG nicht eher/auch das OR anzuwenden ist. Wenn jemand unberechtigt Eigentum Dritter (hier Zeit des Arbeitnehmers) zur Erzielung von Gewinn (hier Erbringung von Beratungsleistungen) verwendet, kann dieser als faktischer Geschäftsherr nach Art. 423 OR die Herausgabe des erzielten Gewinnes verlangen. Es gibt hierzu noch keinen Präzedenzfall, aber nach der Causa EY werden wir wissen, ob dies gerichtlich umsetzbar ist. Und nach meinem Rechtsempfinden sollte der illegal erzielte Gewinn auch eher an den (ehemaligen) Mitarbeiter als an die Konkurrenz gehen.
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Spannender Ansatz! Jetzt glaube ich aber, dass die Leute lieber einfach die Überzeit einklagen werden. Ist einfacher und vermutlich nicht viel weniger Geld. Damit wäre dann ja die Zeit abgegolten.
Wichtig ist einfach, dass sich endlich etwas in der Branche ändert.
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Vor Ihrer Beratungskompetenz muss nun wirklich kein Arbeitgeber Angst haben! Rechtliche Ausführungen schlicht ungenügend! Anwaltspraxis so nicht zutreffend. Arbeitsinspektorate und arbeitsgesetzliche Zeiterfassungspflicht fehlen gänzlich! Ihre persönlichen Trivialmeinungen zu Vertragsfreiheit, Gesundheitsschutz und Markt dagegen älängst widerlegt, darum diese dafür weglassen. Investieren Sie Ihre Zeit lieber in die Lektüre der Praxis des Arbeitsrechts für Anfänger, denn das Arbeitsrecht zählt ja gemäss Ihrer Webseite zu Ihrem Kerngebiet!
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Das Zielpuplikum sind nicht Fachpersonen.
Zusammenfassungen sind immer Vereinfachungen.
Obwohl ich weiss, wie extrem kompliziert die praktischen Aspekte im einzelfall sein können, verstehe nicht aus welchem Grund sie hier in den Blog für Nicht Juristen bellen.
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Die rechtlichen Ausführungen insgesamt genügend – der Punkt mit den Anwaltskosten (!!) nochmals überarbeiten. Stimmt so absolut nicht! Das mit der Vertragsfreiheit, dem Markt und Gesundheit lassen Sie lieber ganz weg. Längst widerlegt.
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Man muss hier in der Schweiz weg kommen von Minimalleistung und Maximalfreizeit/Maximalarbeitsrechten.Dazu gehören eben auch unbezahlte Überstunden. Ansonsten sind wir nur noch mehr Magnet für ausländische Arbeitskräfte, die die inländischen aus dem Markt drängen. Auch wenn ich nicht für die EU bin, aber die Saläre und die Kosten müssen sich hier in der Schweiz dem umliegenden Ausland anpassen. Schlaraffenland mag ja für eine gewisse Zeit gut gehen, aber langfristig herrscht dann Katzenjammer.
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Kaufmmännische Berufsschule 1. Semester jetzt merkt das sogar der SVP Jurist.
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Danke für diese interessanten rechtlichen Ausführungen. Es ist immer gut, wenn die Menschen über ihre Rechtslage im täglichen Leben gut Bescheid wissen.
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Ist der Autor durch die Anwaltsprüfung gefallen? Will keine Fachzeitschrift seinen Artikel drucken? Was haben die Ausführungen zum Arbeitsrecht auf IP verloren?
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Absolut schwacher Beitrag wie der letzte.
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werter herr terekhov, de iure haben die schweiz. arbeitnehmer/innen rechte, de facto aber nicht…. wird einem arbeitnehmer/in missbräuchlich (!) oder wie auch immer gekündigt, so stehen ihm/ihr max. 6 monatslöhne als entschädigung zu. folge: arbeitnehmer/in hat recht, ist aber arbeitslos… kommt noch dazu, dass die arbeitnehmer/in noch auf die referenzen der gegenpartei angewiesen ist…. und die SVP, ihre partei, schützt und stützt diese zustände…. also wird sich nichts ändern, arbeitnehmer/in werden sich zu tode schufften, und dies ohne zu murren… arbeitsgesetz/or hin oder her…
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Art. 7 UWG interessanter Move.
Auch die Themen Freizeitgestaltung und Belastung an sich, sind wichtige Zusammenhänge.
Text ist informativ und schwenkt weder zu stark nach Rechts noch Links.
Gratulation.
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Im Grundsatz beinhaltet der Text nur die Wiedergabe von Gesetzesartikeln und führt diese aus. Nix Neues im Westen.
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Überzeit und Überstunden sind ok. Aber sie müssen natürlich bezahlt werden. Wer sich darum drücken will, soll auch bestraft werden.
Überzeit und Überstunden sind ok. Aber sie müssen natürlich bezahlt werden. Wer sich darum drücken will, soll auch bestraft werden.
Danke für diese interessanten rechtlichen Ausführungen. Es ist immer gut, wenn die Menschen über ihre Rechtslage im täglichen Leben gut…
Art. 7 UWG interessanter Move. Auch die Themen Freizeitgestaltung und Belastung an sich, sind wichtige Zusammenhänge. Text ist informativ und…