Heute oder an einem nächsten Mittwoch wird Andrea Arcidiacono zum ersten Mal offiziell in seiner neuen Rolle als Bundesratssprecher zu sehen sein. Der Vizekanzler und Leiter des Bereichs Kommunikation und Strategie des Bundes hat am 1. Oktober 2024 70 MitarbeiterInnen und einen Haufen Herausforderungen übernommen.
Sein Amt wird völlig unterschätzt.
„Und er schreibt gut „, meint Ex-FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli in der NZZ am 20. September zu Andrea Arcidiacono, vom Bundesrat als „Neuer Bundesratssprecher“ angekündigt.
Ich gehe davon aus, entscheidend war bei dieser Aussage das „und „. Denn – na ja – gut schreiben ist gut, aber können muss der neue Vizekanzler mehr, damit er seiner neuen Aufgabe gerecht wird. Auch mehr als – Schweiz-typisch – vier Sprachen sprechen und – „sich selbst nicht zu sehr in den Vordergrund stellen“, wie (Alt-)BundesrätInnen in den Medien weiter zitiert werden. (1)
Gefragt ist auch Professionalität und Methodenkompetenz. Wenn man Arcidiacono Werdegang und das ausführliche Assessment-Verfahren anschaut, ist die Wahrscheinlichkeit da, dass er auch die erfüllt. (2)
Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Die Aussage Fulvio Pellis ist symptomatisch. Die Ansprüche an die Fähigkeiten eines Kommunikationsleiters oder einer Kommunikationsleiterin werden notorisch unterschätzt, ebenso wie jene an Kommunikationsverantwortliche im Allgemeinen.
So nach dem Spruch „Schreiben kann ja jeder, jede hat in der fünften Klasse mal einen Aufsatz geschrieben“ werden Kommunikationsaufgaben immer wieder an alle möglichen Leute delegiert.
Dass zur Aufgabe auch gehört, Kommunikationskonzepte zu erstellen oder gegen checken und plausibilisieren zu können, Argumentarien zu verfassen, das Stakeholder-Management im Griff zu haben, die gesamte crossmediale Kommunikation zu koordinieren, Issues-Management und strategische Medienarbeit zu beherrschen, ist häufig nicht auf dem Radar von Anstellungsinstanzen.
Kommt hinzu, dass die Gekürten häufig auch Führungsaufgaben übernehmen. Auch die fordern. Im vorliegenden Fall des Vizekanzlers ist es ein Team von 70 MitarbeiterInnen.
Zudem muss Arcidiacono die internen Prozesse virtuos beherrschen, so dass aus den internen Koordinationsprozessen mit allen weiteren an der Kommunikation Beteiligten am Schluss brauchbare Kommunikationsprodukte resultieren, die das Bundeshaus guten Gewissens verlassen können.
Es ist ja interessant, dass sich aktuell in den Medien Kommentare häufen, die die Kommunikation des Bundes auf der Metaebene beleuchten. Das ist schon bemerkenswert, weil Medien normalerweise lieber über Inhalte an und für sich berichten als über die Kommunikation darüber.
Aktuell kommt dazu, dass diese Artikel die entsprechende Kommunikation kritisch beleuchten und zu eher ernüchternden Ergebnissen kommen.
„Ob Armeefinanzierung, Neutralität oder das Verhältnis zur EU: Der Bundesrat sollte die grossen Linien vorgeben – aber er schweigt lieber „, schrieb etwa Christina Neuhaus kürzlich in einem Kommentar in der NZZ (3).
„Das Volk traute der Politik nicht – die Gewerkschaften hatten leichtes Spiel“, meinte Markus Brotschi in einem Kommentar in den Tages-Anzeiger-Medien (4) zum abgelehnten BVG-Reform, bei dem mit „Politik“ die zuständige Regierung wohl mitgemeint war.
„Bei der Kommunikation sind Versäumnisse nicht von der Hand zu weisen“, zieht David Biner in der NZZ (5) ein Fazit zum Umgang des Bundes mit den potentiell manipulierten Unterschriften für Volksinitiativen.
Für letztere ist ja die Bundeskanzlei – die neue Arbeitgeberin von Arcidiacono – direkt verantwortlich. Die Artikel zeigen, dass die Anforderungen an die Kommunikation des Bundes hoch sind. Und dass wahrgenommen wird, ob die entsprechende Aufgabe gut erfüllt wird oder eher weniger.
Das, so nehme ich an, wird eine der ersten Aufgaben Arcidiaconos sein: den Bundesrat daran zu erinnern, wie wichtig seine Kommunikation ist (6).
Argumente dafür hat er genügend. Sie ergeben sich aus Verfassung, Gesetz, Leitlinien, aus Plausibilitäts- und Legitimitätsüberlegungen, der Schweizer Politik-Kultur, die sich aus der direkten Demokratie ableiten lässt – und aus den aktuellen Herausforderungen.
Verfassung (7), Gesetz und Leitbild Kommunikation Bund schreiben dem Bundesrat eine Pflicht zur Kommunikation vor. Die Kommunikation soll „einheitlich, frühzeitig und kontinuierlich“ (8) und „in allen Phasen, von der Problemstellung über die Diskussion bis zum Entscheid“ (9) geschehen.
Kommunikation ist zudem wichtig, damit die Bevölkerung das Tun der Behörden, Verwaltungen und Regierungen als plausibel wahrnehmen kann. Damit die Bevölkerung ein Gefühl der „Legitimität“ des Handelns der Behörden (10) entwickeln kann, deren Ergebnisse überzeugend und Sinn und Ordnung stiftend wahrgenommen werden. Nur dann unterstützt die Bevölkerung deren Entscheide und Vorgehensvorschläge – beispielsweise in Volksabstimmungen.
Politische Kommunikation in der Schweiz passiert zudem in einem überdurchschnittlich herausfordernden Kontext. In der Schweiz haben partizipative Prozesse Tradition, jede und jeder will mitreden.
Mit „runden Tischen“ wird dieses Bedürfnis informell bedient, mit Vernehmlassungen formell. „Betroffene zu Beteiligten machen“: Auch das Stakeholder-Management ist damit in der Schweiz ein wichtiger Teil der Regierungskommunikation.
Zusätzlich erschwerend kommen zwei gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends hinzu: Die zunehmende Polarisierung (11), die sich zum Beispiel in der so genannte „Cancel-Kultur“ zeigt, macht es auch für Regierungen immer herausfordernder, nur schon einen tragfähigen Konsens zu schaffen und diesen zudem auch noch kommunikativ erfolgreich bis zum Entscheid zu begleiten – beispielsweise bis durch eine Volksabstimmung.
Sodann auch die Medien: Sie, die bis anhin als beschreibende, einordnende und kommentierende Intermediäre eine wichtige Rolle für „Übersetzungsarbeit “ hin zur Bevölkerung geleistet haben, verlieren an Bedeutung.
Wegen der Sparprogramme der Medienhäuser und damit verbundener Entlassungswellen von JournalistInnen(12) einerseits, wegen der zunehmenden Bedeutung von Social Media(13), die Inhalte und Meinungen direkt und unkuratiert zu den EmpfängerInnen transportieren, andererseits.
Tja. Was tun? Sich zu Herzen nehmen, wie wichtig Kommunikation ist: Sie ist nicht nur „Beigemüse“, nice-to have, was – beispielsweise – von Regierungen auch noch erledigt werden muss. Sie ist elementar.
„Politische Kommunikation ist ein zentraler Mechanismus bei der Herstellung, Durchsetzung und Begründung von allgemein verbindlichen Entscheidungen. Politische Kommunikation ist nicht nur Mittel der Politik. Sie ist selbst auch Politik“: Diesen Merksatz des renommierten Medien- und Kommunikationswissenschaftlers Ulrich Saxer kennen alle, die im Feld der politischen Kommunikation, Public Relations und Public Affairs je eine Ausbildung absolviert haben und darin tätig sind.
Damit kennt ihn der neue Bundesvizekanzler Andrea Arcidiacono sicher. Auch der Bundesrat?
Lassen wir zum Schluss Arcidiacono selbst zu Wort kommen – obwohl (Alt-)BundesrätInnen dessen Zurückhaltung schätzen. „Dieses Amt ist für mich eine grosse Ehre und Verantwortung“, meinte er in den Tages-Anzeiger-Medien(14).
Das ist es auf jeden Fall. Ich habe grössten Respekt vor jedem und jeder, der diese ehrenwerte Aufgabe annimmt. Ich wünsche Andrea Arcidiacono, seinem Team mit 70 Leuten, allen an der Kommunikation des Bundes beteiligten und auch dem Bundesrat viel Glück.
Und gebe ihnen einen Wunsch mit: Hoffentlich ist Arcidiacono nicht zu zurückhaltend, wenn es um Kommunikation geht. Das ist in ihrem eigenen Interesse. Und in unsrem.
(1) „Die neue Stimme der Landesregierung „, 21. September 2024: https://www.landbote.ch/andrea-arcidiacono-ein-tessiner-ist-neuer-bundesratssprecher-443109747997
(2) „Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen, Inlandredaktor „Corriere del Ticino „, Sprecher des Innendepartements unter Bundesrätin Ruth Dreifuss etc. in https://www.landbote.ch/andrea-arcidiacono-ein-tessiner-ist-neuer-bundesratssprecher-443109747997. „Dem Bundesratsentscheid vom Freitag ging ein mehrmonatiges Verfahren voraus. Dem Vernehmen nach soll das Assessment über gut ein halbes Dutzend Stufen gegangen sein. Die Zusammensetzung der Findungskommission, die Bundeskanzler Viktor Rossi eigesetzt hatte, sorgte – wie immer, wenn in Bundesbern wichtige Entscheide an Kommissionen delegiert werden – für Kritik. Der lange Prozess ebenfalls. Aus „Panettone für den Bundesrat“, NZZ vom 21.9.24, https://www.nzz.ch/schweiz/simonazzi-nachfolge-ein-tessiner-spricht-kuenftig-fuer-den-bundesrat-ld.1849390
(3) https://www.nzz.ch/meinung/das-schweigen-des-bundesrats-ld.1848505
(4) https://www.tagesanzeiger.ch/bvg-reform-darum-hatten-die-gewerkschaften-leichtes-spiel-869521634541
(6) Wissen tut er es ja wohl, aber in der Umsetzung liegt die Crux, wie so häufig im Leben.
(7) „Der Bundesrat informiert die Öffentlichkeit rechtzeitig und umfassend über seine Tätigkeit, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegen stehen“. Bundesverfassung Artikel 180
(8) Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz RVOG Artikel 10
(9) Information und Kommunikation von Bundesrat und Bundesverwaltung, Leitbild der Konferenz der Informationsdienste (KID) von 2015
(10) Suchmann, Marc C. (19995): Managing Legitimacy: Strategic and Institutional Approaches. In: Academy of Management Review 20, H.3, S. 571-610; in: Vogel, Martina (2010): Regierungskommunikation im 21. Jahrhundert, S. 52
(11) „Polarisierung nimmt im Grad des elektoralen Wettbewerbs, der Fragmentierung des Parteiensystems und insbesondere der abnehmenden Bedeutung der Kooperationsstrategien zwischen Regierungsparteien zu.“: Vatter, Adrian (2014), Das politische System der Schweiz, Baden- Baden, S. 218. In: Rösli, Stephan (2019), „Institutionalisierte Prozesse in der Regierungskommunikation, Medienarbeit von Deutschschweizer Stadtregierungen aus einer neo-institutionalistischen Perspektive“, Seite 26
(12) https://www.nzz.ch/schweiz/tamedia-baut-ab-es-verbleiben-vier-redaktionen-ld.1848783
(13) Quelle zum Beispiel Jahrbuch Qualität der Medien 2023, Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft fög, Universität Zürich
(14) „Sein Vater war der ‚Coiffeur der Staatsräte’ – er wird die Stimme des Bundesrates“. https://www.tagesanzeiger.ch/andrea-arcidiacono-ein-tessiner-ist-neuer-bundesratssprecher-443109747997
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Die beliebtesten Kommentare
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Ein guter Bundesrats-Kommunikator beherrscht es, den Frosch (das Volch) langsam zu kochen, damit der Frosch gar nicht merkt, wie die Temperatur im Topf langsam und stetig immer mehr erhöht wird. Der Volkskörper akzeptiert sein Schicksal stillschweigend.
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Andrea Arcidiacono in den Bundesrat!
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Kommunikation ist wichtig, ja! Nur was dabei alles ausgeklammert wird, ist der Teil, der für Regierende harte Arbeit bedeuten würde. Man schaue auf den Arbeitsmarkt, alles ü40 hat kaum noch Chance auf einen Job. Das nennen Behörden und Firmenbosse ‚unternehmerische Freiheit‘. Die Frage stellt sich aber, ob es bei dieser auffallend hohen Zahl arbeitsuchender ü40 sich nicht um ein System handelt- genannt „Unternehmerische Freiheit“, Nichterwünschte systematisch vom Arbeitsmarkt ferngehalten wird.
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Wenn ein Bundesrat nicht vermitteln kann was er macht, dann mach er wohl nichts gescheites. Dazu braucht es nur Faktenchecker, wenn man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt…
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Hätten sie ihn doch früher ran gelassen, wäre die letzte PK-Abstimmung sicher anders gelaufen. 🙂
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Nachdem Sie uns seit vier Jahren nur Propagandamüll zusammen mit den Drecks MSM serviert haben, es würde eine Person mehr wieder Vertrauen in diese Figuren der Politik und der Medien haben, nur weil ein neuer Clown auf der Bühne spricht?
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Richtig. Märchenerzählen kann nicht jeder. Aber selbst denen, die es können, glaubt man sie zum Glück nicht. Deshalb ist das auch so ein Bullshit-Job, den niemand braucht.
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zusätzlich zu den sieben anderen, die den Schlafschafen erklären werden weshalb ein weiterer Booster gegen Affenpocken und den fürchterlich schlimmen Klimawandel à la Thunfisch helfen.
Jämmerlich, kein normaler Mensch vertraut den Politikern oder den Bull-Shit Medien.
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Bundesratssprecher, früher nannte man es Hofnarr.
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Bundesratskommunikation ist Schönreden der Unwahrheiten.
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Im Angelsächsischen Sprachraum auch mal Bullshitter genannt. Im Berner Polit-Betrieb wimmelt es von ebensolchen. Hört man so. Und nun gäbe es sogar noch einen Bundesrat aus der Nordwestschweiz, der diese Gilde würdig vertritt.
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Spricht jemand «gut», wenn er – nachdem einer 19-jährigen und unbewaffneten Demonstrantin für mehr öffentlichen Raum durch ein Gummigeschoss ein Auge ausgeschossen worden ist – ein Polizist habe sein Gehör verloren, diese Aussage aber nicht nachvollziehbar gemacht wird?
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Es wäre an der Zeit, dass ehrlich, transparent und authentisch kommuniziert werden würde. Das käme Näher an eine fairere, glaubwürdigere Politik…
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Richtig. Wir müssen dem dummen Volk die Politik besser erklären. Nur so begreifen die Schlafschafe, dass Corona eine Pest 2.0 war, wir ohne EU nicht überleben können, Grossmütter am Klima sterben und der Krieg in der Ukraine dem Frieden dient. Bitte search & replace „Kommunikation“ mit „Propaganda“ 😆🤣😂
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71 Stellen für Staatspropaganda???
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Wir sind zum Glück ganz klar Antideutschland!
So hoffe ich auch auf professionell bürgerliche Kommunikation.
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„Zudem muss Arcidiacono die internen Prozesse virtuos beherrschen, so dass aus den internen Koordinationsprozessen mit allen weiteren an der Kommunikation Beteiligten am Schluss brauchbare Kommunikationsprodukte resultieren, die das Bundeshaus guten Gewissens verlassen können“
Soviel zum Thema, gut schreiben sei einfach.
Werden Sie bei Ihren Beratungen auch nach Quantität bezahlt oder wieso brauchen Sie für die gemachten Punkte gefühlt das 10fache von den eigentlich benötigten Worten?
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…hehehe, gut geschrieben, Aldi; noch dazu kann ein Produkt nicht „guten Gewissens“ etwas tun, das kann nur ein Mensch mit einer Seele 🙂
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…ein Produkt kann auch nicht etwas verlassen, weil dieses Verb eine aktive Tätigkeit impliziert; ein Produkt kann aus einem Vorgang entlassen werden.
Der Text ist voll miserablen Deutschs.
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Es genügt Fakten und Wahrheit zu kommunizieren. Es wird vom Volk verstanden. Narrative und Alternierendes in kurzen Zeiträumen, die nicht nachvollziehbar sind bringen uns dahin, wo wir sind – der Politik und den Medien wird nicht mehr vertraut.
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„Bedeutung von neuem….“, richtig deutsch heisst es: Beutung des neuen…
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod,
Ja, die modernen Medienschaffenden können, wollen, kennen den Kasus Genitiv nicht mehr.
Richtig. Wir müssen dem dummen Volk die Politik besser erklären. Nur so begreifen die Schlafschafe, dass Corona eine Pest 2.0…
Es genügt Fakten und Wahrheit zu kommunizieren. Es wird vom Volk verstanden. Narrative und Alternierendes in kurzen Zeiträumen, die nicht…
"Zudem muss Arcidiacono die internen Prozesse virtuos beherrschen, so dass aus den internen Koordinationsprozessen mit allen weiteren an der Kommunikation…