Am Montag debattiert der Nationalrat über die Einführung einer Verbandsklage auf Schadenersatz in der Zivilprozessordnung.
Es geht darum, dass bei Grossschäden mit vielen einzelnen Geschädigten diese Schadenersatz erhalten.
Typisches Beispiel sind Investorenklagen im Finanzmarktbereich, Klagen bei Kryptobetrügen und -Diebstählen oder Ponzi-Schemes.
Oder Klagen für sonstige Massenschäden, wie sie bei Datenlecks respektive Computerhacking eintreten.
Der Bundesrat hat schon im Juli 2013 festgestellt, dass die geltende Zivilprozessordnung keine geeigneten Instrumente für solche Schadensereignisse bereithält.
Die Schadensverursacher kommen ungeschoren davon, es besteht ein Rechtsschutzdefizit.
Dennoch empfiehlt die Rechtskommission des Nationalrats ein Nichteintreten auf den Gesetzesentwurf des Bundesrates, was erstaunt.
Die Rechtskommission will das Rechtsschutzdefizit offensichtlich nicht beheben.
Dass die Schweiz als praktisch einziges Land in der westlichen Hemisphäre keine Regelung für Kollektivklagen kennt und einen schwarzen Fleck auf der Landkarte darstellt, ist auch das Verdienst des Vereins Economiesuisse.
Dessen PR-Leute schüren Angst vor einer angeblich zu befürchtenden „Amerikanisierung des Rechtssystems“ sowie einer sogenannten „Klageindustrie“.
Höchste Zeit, diese Schlagworte einem Faktencheck zu unterziehen.
Amerikanisierung wird gebraucht, um ein Schreckgespenst an die Wand zu malen – die eigenen Mitgliedsfirmen der Economiesuisse sehen die USA und deren Rechtssystem zum Glück anders.
Die USA sind für Schweizer Unternehmen attraktiv wie nie; dies gerade auch dank eines effektiven Rechtssystems, das schnell reagiert und nicht träge ist.
Das Economiesuisse-Schlagwort steht in offenem Widerspruch zum tatsächlichen Marktverhalten ihrer eigenen Mitglieder. Die USA sind für unzählige Schweizer Unternehmen essenziell, die Schweiz liegt gemäss der offiziellen Statistik des US Bureau of Economic Analysis an sechster Stelle der Länder mit den höchsten Direktinvestitionen in den USA.
Stadler expandiert in USA, die UBS stärkt das US-Geschäft und holt sich dort eine neue Banklizenz dort. Warum wohl? Weil es einer der weltweit am besten funktionierenden Märkte ist.
Dank des US-Rechtssystems, das effektiv und effizient ist.
Es ist somit widerlegt, dass das US-Rechtssystem den Unternehmen schadet – das Gegenteil ist der Fall. Viele der besten und innovativsten Unternehmen der Welt sind amerikanische, wie Uber, Tesla, META, Nvidia, Google, Amazon.
Zudem hat die Prozessfinanzierung und angebliche Klageindustrie nichts mit Amerikanisierung oder dem amerikanischen Rechtssystem zu tun, sondern ist etwas Europäisches.
In den USA braucht es gar keine Prozessfinanzierung, weil der Anwalt das Erfolgshonorar hat, sprich er finanziert das Verfahren durch seine Arbeit im Voraus selbst und erhält sein Honorar am Schluss aus dem Erfolg.
Kein Anwalt wird einen aussichtslosen Fall anstrengen, weil er – wie jeder andere Geschäftsmann auch – keine finanzielle Vorleistung erbringt, ohne dass er reelle Chancen hat, diese bei Auftragsende hereinzuholen.
Die Gefahr angeblich missbräuchlich eingereichter Klagen gibt es schlicht nicht, und sie wird völlig überzeichnet.
Wer sich gegen die Prozessfinanzierung ausspricht, darf daher nicht gegen das Erfolgshonorar sein. In der Schweiz ist unbedingt das reine Erfolgshonorar zuzulassen, es löst viele Probleme des Zugangs zum Recht.
Überdies kann Folgendes nicht geleugnet werden: Prozessfinanzierung ist seit Jahren ein legales Geschäft. Es ist sodann für schweizerische Finanzdienstleister interessant.
Es kann kein legitimes rechtspolitisches Anliegen sein, in der Schweiz ein Privatrecht ohne Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung zu schaffen.
Ein System, welches dem Schein nach besteht, aber in welchem keine Klagen möglich sind, ist kein Privatrechtssystem.
Es kann auch nicht Ziel von Economiesuisse sein, ein System ohne Verantwortlichkeit zu schaffen. Wohin fehlende Verantwortlichkeit führt, haben die schweren Pflichtverletzungen des obersten Managements der Credit Suisse gezeigt.
Die systematischen Verletzungen in- und ausländischen Rechts in den letzten 15 Jahren, welche zu einer nicht endenden Flut an Skandalen sowie Bussen in zweistelliger Milliardenhöhe gegen die Bank geführt haben, bei gleichzeitig unverminderter Selbstbedienungsmentalität, haben zum kompletten Vertrauensverlust und dem Untergang der Bank innerhalb eines Jahrzehnts geführt.
Bilanz: Eine Grossbank weniger. Unklar bleibt, ob die Verantwortlichen zivilrechtlich für den verursachten Schaden zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Privatrecht lebt davon, dass alle Rechtsteilnehmer darauf vertrauen dürfen, dass die Gesetze gelten und auch durchgesetzt werden können (Rule of Law, Gleiches Recht für Alle, Justice for All).
Ob es zu einer Rechtsdurchsetzung kommt oder nicht, darüber dürfen im Privatrecht die einzelnen Betroffenen selbst entscheiden. Das Privatrecht kennt bereits verschiedene Klageerleichterungen, so im Mietrecht, im Arbeitsrecht oder im Fusionsgesetz.
Dass punktuelle Klageerleichterungen – wie die nun vorgeschlagene Verbandsklage – zu einem angeblichen Missbrauch führen könnten, trifft nicht zu; wie ausgeführt widerlegen dies die tatsächlichen Verhältnisse.
Das schweizerische Fusionsgesetz (FusG) etwa sieht eine wesentliche Klageerleichterung vor für Aktionäre, die mit der Abfindungszahlung des übernehmenden Rechtsträgers nicht einverstanden sind.
Diese sind von Gerichtskosten befreit. Nach der CS-Übernahme durch die UBS im Frühjahr 2023 haben ein paar CS-Aktionäre gegen die UBS geklagt. (Der hier Schreibende vertritt einen solchen Kläger.)
Mitnichten ist eine Klagewelle eingetreten. Es gibt gerade einmal 39 Klagen, die vom Handelsgericht Zürich alle gemeinsam in einem einzigen Verfahren ordentlich behandelt werden.
Das Handelsgericht macht seine Aufgabe gut, das Verfahren wird effektiv und effizient geführt.
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Verbandsklage ist ein geeignetes Mittel, auf schweizerische Art die Rechtsdurchsetzung und damit das Vertrauen aller in das Funktionieren des Rechtsstaats zu fördern.
Rechtsdurchsetzung führt zu einer Rechtsbefolgung durch Dritte, auch wenn sie selbst nicht in ein Verfahren gezogen werden, und damit zu einer gewünschten Verhaltenslenkung ex ante.
Ein liberaler Rechtsstaat fördert deshalb die Privatrechtsdurchsetzung. Klagen sind das Fundament des Rechtsstaats. Wo kein Kläger, da kein Richter und dort keine Rechtsdurchsetzung.
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Die beliebtesten Kommentare
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Das hiesige System bevorzugt juristische Personen und deren Advokaten vor natürlichen Personen und Bürgern.
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Er meint schon das US Rechtssystem pre Trump,gell? Wovon er träumt, davon ist aktuell nicht mehr viel übrig.
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Ein amerikanisches System, in dem jeder, der sich mit heißem Kaffee verbrennt oder über seine eigenen Füße stolpert, Millionen einklagen kann, würde einen massiven und aggressiven Ausbau der Justiz bedeuten. Doch wie gut das Rechtssystem in Amerika wirklich funktioniert, hat ja gerade Donald Trump am eigenen Leib erfahren – sehr selektiv, während andere wie die Clintons mit ihren Stiftungen, Hunter Biden oder Joe Biden selbst jahrzehntelang weitgehend unbehelligt blieben.
Am Ende profitieren vor allem die Anwälte, während die Kosten für dieses System auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Das bestehende System ist grundsätzlich ausreichend – es muss nur konsequent und fair angewendet werden, anstatt es durch überzogene Klagen und selektive Justiz auszuhöhlen.
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>“Dennoch empfiehlt die Rechtskommission des Nationalrats ein Nichteintreten auf den Gesetzesentwurf des Bundesrates, was erstaunt.“
Das erstaunt nur wenn man die Lobby’s in Bern zu wenig kennt :p
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Wir haben viel zu viele Richter (jeder Totsch studiert heute Jus). Die Hälfte des Parlaments sind Richter (die andere Hälfte besteht aus Bauern). Im Studium lernt man die Paragraphen so überraschend wie möglich auzulegen.
Die Richter versuchen den Grundsatz ‚Recht zu haben bedeutet nicht Recht zu bekommen‘ immer wieder mit neuem Leben zu füllen.
Geschworenengerichte gehe da mit viel mehr gesundem Menschenverstand ans Werk.
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Zu viele Richter? Sie meinen wohl zu viele Juristen!
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Mit den Sammelklagen hat die USA ein phantastisches Mittel ungute Industrien zu korrigieren. Die Schweiz sollte sich daran ein Vorbild nehmen. Aus diesem Grund hat die Amerikaner von Volkswagen Geld erhalten und die Schweiz nicht.
Was die Economy Suisse erzählt ist vollkommener Humbug und soll vor allem die unlauteren Machenschaften unserer Industrie schützen.
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Unsere Rechtsprechung ist auf einem seltsamen Niveau angelangt, wo Richter versuchen sich in die Psyche des Täters zu versetzen. Es resultieren unfaire Rechtssprüche, welche man am besten mit dem Titel ‚Täterschutz‘ bezeichnet. Das enzige, wo hart durchgegriffen wird, sind Verkehrsbussen (ausser der Täter sei ein Promi oder ein Polizist).
Wir sollte unbedingt auch wieder Geschworenengerichte einführen. Unsere Juristen sind nicht mehr in der Lage faire Urteile zu machen. Die Amerikaner sind uns weit voraus, was Rechtsprechung anbelangt.
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Guter Artikel!
Das Problem der Schweiz ist, dass man das amerikanische Bonussystem für die Vergütung übernommen hat, nicht aber die strengeren straf- und zivilrechtlichen Kontrollmechanismen zur Überwachung der Unternehmensführung.
Unser Aktienrecht, unsere staatlichen Aufsichtsbehörden und unser Rechtssystem ist nicht für den Fall ausgelegt, dass ein Unternehmen zum Selbstbedienungsladen für die Geschäftsleitung verkommt.
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Neureichen Provinzghetto an der Goldküste meint
So weit kommt’s noch, dass wir Boniabzocker mit Sammelklagen von Geschädigten unserer Bankrotte belangt werden können!
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Leandro Perucchi:
„Wer sich gegen die Prozessfinanzierung ausspricht, darf daher nicht gegen das Erfolgshonorar sein. In der Schweiz ist unbedingt das reine Erfolgshonorar zuzulassen, es löst viele Probleme des Zugangs zum Recht.“
dazu gehört auch das Abschaffen des Numerus Clausus an den schweizerischen Universitäten die die Juristen ausbilden. Erst dann können wir über eine Lösung des Problems mit dem Zugang zum Recht sprechen.
Gehen wir weiter: lassen wir unsere Staatsanwälte und Richter dem Souverän direkt wählen. Klappt doch prima. Woanders. Schaffen wir die Willkür bei der Zulassung des Beweismaterials ab. Und lassen wir den Geschworenen über Schuld des Angeklagten zu befinden. Und wie wäre es die Macht der Präzedenzfalls zu etablieren ?
Als ob die Judikative in der Schweiz funktionieren würde …
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Das Präjudiz kennt die Schweiz schon lange immer wieder wird Recht von Bge ausgelegt in unentschiedenen Rechtsfragen.
Was wir abschaffen müssten ist das Strafbefehlsverfahren. Der Grösste Bürgerbetrug seit Recht gesprochen wird, der Strafbefehl, ist die Offerte die ich Ablehnen muss darum nennt man es auch Strafbefehl und nicht Erledigungsofferte oder so.
In der schweiz gibt es keinen Numerus Clausus in Jura. Darum besteht ja auch das halbe Parlament aus Juristen, hier sieht man wo die studierten Rechts“wissenschaftler“ dann landen….ein Mangel an Juristen haben wie auf keinen Fall….
Es würde schon reichen wenn Richter nicht mehr Parteiisch sein dürften, so wie es in der Verfassung steht der UNparteiische Richter.
Heute muss der Richter ein Parteibuch haben sonst wird er nicht gewählt, das sollte verboten sein. Geschworene Urteilen im übrigen nicht schlechter als Richter. Richter und Staatsanwälte sind oft befangen heute.
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Einen Numerus Clausus hat es für das Studium der Jurisprudenz in der Schweiz noch nie gegeben. Und die Richter an den unteren Instanzen werden meist vom Volk gewählt (bspw. die Richter an den Bezirksgerichten in den Kantonen Aargau und Zürich). Leben Sie in Deutschland?
Aber das Personal an den Gerichten ist zum Teil abgehoben. Das kommt davon, wenn man Juristen zum Richter wählt, die zuvor nie in der Privatwirtschaft waren. Das ist das Problem! -
@Yoda
Strafbefehlsverfahren sicher nicht abschaffen, sondern ausbauen und effizienter machen! Sonst müssen wir noch mehr teure Staatsanwälte (immer mehr Teilzeitmütter, die nie erreichbar sind, um etwas polemisch zu sein) einstellen, die auch Strafen bei Lappalien ausführlich begründen und das Verfahren so teuer in die Länge ziehen. Dort könnte man kurzen Prozess ohne lange Begründungen machen. Wem der Befehl nicht passt, kann ja Einsprache erheben, dafür braucht es keinen Anwalt.
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Wir brauchen dringend eine Amerikanisierung des Rechtssystems, dort ist es dem einzelnen viel einfacher sein Recht durchzusetzten, auch weil zB Anwälte auf reine Provision arbeiten dürfen was hier nicht geht wegen der Standesordnung der Anwälte welche die Anwälte verpflichtet unverschämte Stundenansätze und das ganze Risiko auf den Klienten abzuwälzen, damit hat der Anwalt
Nie ein Interesse einen Fall zu gewinnen er verdient an Stunden das beste sind ewige
Rechstreitigkeiten. Die sich eben
Kein normaler Bürger leisten kann. Könnten Anwälte auf Provision arbeiten, hätten Sie ein Interesse an der raschen und Effizienten Erledigung und würden die Fälle vertreten wo Sie die besten Erfolgsaussichten haben.
Wir brauchen dringend eine Amerikanisierung des Rechtssystems, dort ist es dem einzelnen viel einfacher sein Recht durchzusetzten, auch weil zB…
Neureichen Provinzghetto an der Goldküste meint So weit kommt's noch, dass wir Boniabzocker mit Sammelklagen von Geschädigten unserer Bankrotte belangt…
Guter Artikel! Das Problem der Schweiz ist, dass man das amerikanische Bonussystem für die Vergütung übernommen hat, nicht aber die…