Ähnlich wie Anfang 2000 befinden wir uns an einem Wendepunkt in der Informatik. Schlagwörter wie Big Data, Cloud oder Mobile erhöhen den Druck für den IT-Leiter / CIO und vernebeln einmal mehr den Blick auf das Wesentliche: Firmenkultur in den IT-Abteilungen, systematische IT-Architekturen und konsequentes Produkt-Management.
In Mediokristan (Begriff aus dem Klassiker „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ des Publizisten und Börsenhändlers Nassim Nicholas Taleb) ticken die Uhren langsam, die Hierarchien und Rahmenbedingungen sind klar gegeben und Risiko- und Managementkonzepte, welche auf Gauss‘sche Verteilungen basieren, machen Sinn. In Mediokristan sind alle Menschen so ungefähr gleich gross (also beispielsweise 170cm +/- 20%), wiegen so ungefähr gleich viel (+/- 100%), können ungefähr gleich schnell laufen. Das typischste Mitglied ist mittelmässig.
In Extremistan können einige wenige Menschen oder Firmen ganze Märkte weltweit bewegen. Ein George Soros zwang am „Black Wednesday“ 1992 das Pfund Sterling in die Knie, ein Steve Jobs wurde innerhalb weniger Jahre zum Totengräber eines Weltkonzerns wie Nokia, und ein Elon Musk lehrt mit Paypal oder Tesla ganzen Industrien das Fürchten. Extremistan zeichnet sich durch extreme Skalierbarkeit aus, ist aber anfällig für Schwarze Schwäne.
Was viel zu wenig beachtet wird, ist, dass der Grossteil der IT-Projekte in Extremistan anzusiedeln sind. Ein Grossteil der Managementlehren im Allgemeinen und im IT-Management im Speziellen konzentriert sich aber weiterhin auf „Mediokristan“, geprägt von Prozess- und Kostenoptimierung, Standardisierung und Industrialisierung. Sie tragen nicht Rechnung, dass im Zeitalter von Internet und Social Media Informatik eine Extremistan-Paradedisziplin geworden ist, in der Technologieverständnis und Innovationsmanagement unabdingbar sind.
„Gute“ Informatik ist um Grössenordnungen produktiver, effektiver und günstiger als „mittelmässige“ Informatik. Die „Mediokristan“-Informatik hat ein hohes Risiko, in Grossunternehmen die agile Lebensfähigkeit der internen Informatik zu zerstören, und in der IT-Serviceindustrie die Profitabilität zu killen.
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Fehlen dem CIO oder der IT-Leitung zum Beispiel das Verständnis für offene Architekturen und Datenmodellierung, werden sie mit dem vorhandenen Applikationsportfolio nicht die Potentiale von Cloud-Computing oder Big Data nutzen können.
„Time is the friend of the wonderful business and the enemy of the mediocre.“ Warren Buffet, 1989
Kein Statement könnte für die Informatik besser passen: Einer gut funktionierenden, auf soliden Architekturen aufbauenden IT fliegen über längere Zeit gesehen eine neue Technologie nach der anderen quasi geschenkt zu, für eine mittelmässige IT ist jede neue Technologie ein neues Risiko, welches zu Kosten führt und die Konkurrenz stärker macht.
In den 1990er Jahren wurde dann Informatik immer wichtiger. Es fiel immer mehr Arbeit an, welche die Cracks und ihre Handlanger nicht mehr bewältigen konnten oder wollten. Die Folge war die massive Aufblähung der bestehenden IT-Abteilungen mit mittelmässigen begabten oder motivierten Informatikern und vielen Quereinsteigern.
Einige Jahre später realisierten die Manager, dass ihre Informatik nicht wirklich rund läuft, viel kostet und immer schwieriger zu managen ist. Wer auch immer ihnen diese Idee einbrockte (ich kenne den eigentlichen „Erfinder“ der IT-Industrialisierung nicht), sie war auf dem ersten Blick einleuchtend: IT muss wie eine Autoproduktionsstrasse organisiert werden – IT am Fliessband.
Es wurden Pools von IT-Architekten, Requirements Engineers, Business Analysten, Application Engineers, Projektleitern, Testern und Quality Managers eingerichtet, die eines gemeinsam hatten: Sie waren für den Alltag nicht zu gebrauchende Spezialisten. Grosser Profiteur der IT-Industrialisierung sind Outsourcing und Personalverleiher. Sie können punktspezifisch genau die „richtigen“ Ressourcen liefern. Stimmen die „Catch Words“ zwischen (billigem) CV-Kandidaten und beauftragtem Suchprofil überein, steht einem Geschäftsabschluss nichts mehr im Wege.
Das gute der IT-Industrialisierung ist, dass sie so schnell zu einer Verschlechterung der Informatik führt, dass selbst in hohen Sphären schwebende Manager davon Wind bekommen. Sie produziert demotivierte Mitarbeitende und führt schlussendlich zu qualitativ lausigen, an den Business-Bedürfnissen vorbei produzierten Lösungen, für die jeder Beteiligte die Verantwortung für Fehler auf die anderen abschieben kann. (Aus dem Kapitel IT-Industrialisierung war die dümmste Management-Erfindung aller Zeiten.)
IT-Arbeitskräfte sind begehrt, in „Mediokristan“ wie „Extremistan“. Es ist auf den ersten Blick erstaunlich, dass in Europa (und vielen Regionen in den USA) nie ein über horrende Löhne finanzierter „War of IT Talents“ stattgefunden hat. Dieser findet zurzeit in zwei sehr komplementären Märkten statt: erstens den Boom-Regionen der USA und zweitens in vielen Schwellenländer. In den USA treiben die Internetmonster des Silicon Valley sowie die Quant Traders an der Wallstreet die Löhne in die Höhe. (Zur Erinnerung: „Extremistan“ ist die Welt des Leverage – 1 Hochbegabter ersetzt 10 Mittelbegabte.) In den Schwellenländern sind es vor allem die internationalen Konzerne und deren Zulieferer, die dringend nach begabten Informatikern mit guten Englischkenntnissen suchen.
Eine Bekannte von mir arbeitet als Accounting-Spezialistin mit 10 Jahren Erfahrung in einer nationalen Behörde in Bangkok und verdient damit ungefähr fünf Mal mehr als den nationalen Durchschnittslohn. Ihre Schwester hatte mit 21 gerade den Bachelor of Computer Science abgeschlossen und verdiente in ihrem ersten Jahr als IT-Angestellte bei einem internationalen Fischereikonzern bereits mehr – plus gratis Fitnessstudio, Verpflegung, Shuttle Services, und vergleichsweiser hoher Bonus.
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In der „Old Economy“ haben sich die Informatiklöhne und der Mix zwischen teuren und günstigen Mitarbeitern sowie internen und externen Mitarbeitern in der Zwischenzeit eingespielt. „Old Economy“ zahlt ihre internen Mitarbeiter in aller Regel anständig, aber nicht übermässig gut. Die Googles und Facebooks Europas, also in Geld schwimmende, von Informatikern geführte Firmen, absorbieren so wenige Informatiktalente, dass sie (im Gegensatz zum Silicon Valley oder den Schwellenländern) nicht den Arbeitsmarkt und die Lohnpolitik der „Old Economy“ und deren IT-Service-Providers massgeblich beeinflussen. (Aus Kapitel IT-Entlohnung – Der Anti-CEO-Effekt.)
Der ideale CIO ist Unternehmer. Als solcher ist er bestens mit dem Stammgeschäft vertraut. Er versteht zum einen sehr genau, wie seine Firma ihr Geld verdient, wie ihre Kunden ticken und wohin die Märkte sich bewegen. Zum anderen versteht er auch Technologien und weiss, wie Informatiker agieren und zu motivieren sind. Ist dies alles?
Leider nein. Ich kenne einige CIOs, welche diese Anforderungen nahezu perfekt erfüllen und doch nur beschränkt nachhaltigen Mehrwert für ihre Firmen schaffen können. Der Grund: Sie sind nicht in der Geschäftsleitung, sie sind nicht beim Kunden, sie haben nur Zulieferfunktion. Und meist sind sie „Techniker“, welche es nicht geschafft haben, sich zu eigentlichen Beratern der Geschäftsleitung für neue Geschäftsmodelle zu etablieren.
Der wirklich unternehmerische CIO wird vielmehr die Rolle eines CEOs in einem Technologie- oder Internetunternehmen suchen als die Rolle eines Informatikchefs in der „Old Economy“. Leider wird viel zu wenig unternommen, um solche Rollenprofile aktiv für klassische Unternehmen zu gewinnen. Gerade die „Old Economy“ wäre gut beraten, vermehrt IT Start-Ups zu akquirieren oder zumindest den Dialog mit ihnen zu suchen. Die Pharmaindustrie hat diesen Trend längst erkannt und bedient sich regelmässig bei innovativen Biotechnologiefirmen.
Bei den CIOs soll laut einer aktuellen Studie von Gartner die „Message“ angekommen sein. (Leider kann ich diese Erfahrung nicht teilen.) Drei von vier CIOs gaben dort an, dass sie wegen der Digitalisierung in den nächsten drei Jahren ihren Führungsstil ändern müssen – weg von „Control First“, hin zu „Vision First“. (Aus Kapitel Der CIO als Unternehmer – Mission Impossible?)
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Auszug für Inside-Paradeplatz-Leser aus dem Buch „IT-Manager, gefangen in Mediokristan – 13 Feststellungen zum CIO zwischen Corporate IT und New Economy“. Die dreizehn nicht immer todernst gemeinten Feststellungen zur „Lage der Corporate IT“ umfassen unter anderem das Dilemma des CIOs, die IT-Industrialisierung, die – laut Bischof – dümmste Management-Erfindung aller Zeiten, CIO-Profile von Juristen, Marketer und Physikern, IT-Führung im Kontext von Kirchenchören und Pop-Stars sowie die Prämisse „IT und Geld: Arm ist sexy“. Das Buch schliesst mit dem vom Autor entwickelten „IT-Power-House“-Modell als strategischen Leitfaden für den Corporate-IT-Manager.
Das gewählte Format mit Illustrationen der Tiroler Künstlerin Diana Zisler lässt genügend Freiheiten, um pointiert Sachverhalte zu formulieren, welche nie in einen offiziellen Geschäftsbericht oder in die Fachliteratur Eingang fänden.
Das Buch wurde anlässlich des Swiss ICT Symposiums in Luzern vorgestellt, kostet als E-Book rund 12 Franken und ist bei Amazon erhältlich. Eine Papierversion ist in Arbeit.
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CIO = CHIEF INVESTMENT OFFICER