Ich würde gerne einige populäre Gedanken umsortieren, die in der gegenwärtigen Diskussion um eine neue Wirtschaftsordnung, Unternehmen und CEOs diskutiert werden.
1.) Das Vertrauen in CEOs ist mit 38 Prozent auf einem Allzeit-Tief. Von 100 Zuhörern in einem Raum findet der/die CEO das Vertrauen von 38 Personen und das Misstrauen von 62 Personen. Allein 2012 ist der Wert um 12 Prozent (oder 12 Personen) gesunken (Edelman Trust Barometer). Die guten Aussichten der Abzocker-Initiative, die Abschaffung der Pauschalbesteuerung im Kanton Zürich, die Kommentare auf Inside Paradeplatz, auch die Angriffe auf das Portal, sind Beweise für Misstrauen, wenn nicht gar Beweise für Wut auf CEOs. In Europa und den USA sind die Tendenzen gleich.
2.) Betrachten wir das Misstrauen gegenüber CEOs als eine Reaktion auf den ständigen Fluss von Skandal-Nachrichten: Unregelmässigkeiten, Insiderverkäufe, Optionsschiebereien, vorgezogene Boni, Bilanzartistik, Hausdurchsuchungen. Schauen Sie sich beim WEF um: Gehört es schon zum guten Ton, ein Verfahren am Hals zu haben? Jeder zehnte Teilnehmer gehört dazu, habe ich sagen hören.
3.) Diese Verfehlungen sind – in meinen Augen – oft ein Akt der Verzweiflung, denn der Druck, jedes Quartal beachtliches Wachstum vorzuweisen, steigt und steigt. Letztes Wochenende hörte ich den 20 CEOs des Schweizer SMI zu und war frustriert über das unreflektiert scheinende Gerede von Wachstum. Im Einzelfall merkt man es nicht, man hat sich schon daran gewöhnt, aber in der Summe ist es extrem auffällig. Würde man das „W-Wort“ streichen, was wäre dann noch zu sagen?
4.) Paul Bulcke von Nestlé bezeichnete seine Kunden sogar als „Wachstumsmaschine“. Das sind Sie und ich – wir sind seine Wachstumsmaschine, mit jedem Kitkat-Riegel, den wir essen. Das ist nicht in Ordnung. Es ist einfach vorauszusagen, dass die Bewegung hin zu Social Business mit mehr Kundennähe und einem respektvolleren Umgang mit Kunden stärker werden wird. In Deutschland hat die Commerzbank mit ihrer Werbekampagne zumindest nach aussen diesen Wunsch aufgegriffen („Weil wir Schluss machen mit Spekulationen auf Lebensmittel. Sind wir die Bank an Ihrer Seite.“).
5.) Weltweit können wir mitverfolgen, dass die zunehmende Ungleichheit nicht mehr toleriert wird. Die Kampagne „Wir sind die 99 Prozent“ mag vergessen sein, doch die darunterliegende Kraft wird uns zu einer neuen Wirtschaftsordnung führen. Viel mehr Menschen als bisher verlangen, dass sie auf Augenhöhe behandelt werden. Was ist der Grund dafür? Für mich ist die Digitalisierung die eigentliche Kraft im Hintergrund. Zugang zu kritischen Informationen ist umsonst. Selbst Obdachlose haben Laptops.
6.) Die neue ökonomische Ordnung wird sich aus noch zu definierenden Geschäftsmodellen herausbilden, seien es Social Enterprises, Genossenschaftsmodelle, Banken mit persönlich haftendem Management oder Hedge Fonds mit sozialem Auftrag sowie natürlich traditionelleren Setups. Die Vorträge beim WEF zum Thema Social Development könnten interessant sein (unter http://www.weforum.org/issues#social-development und http://new.livestream.com/wef live und kostenlos im Netz, statt 60’000 Franken Teilnehmerbeitrag, siehe Punkt 5).
7.) In diesen neuartigen Unternehmen möchten auch die Mitarbeitenden mit mehr Respekt behandelt werden als bisher. Mitarbeitende möchten nicht nur Werte an der Wand hängen sehen, sondern bei ihrer Definition mitreden. Leben Sie Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie in Ihrer Freizeit und unterwerfen sich dann einem autoritären Gefüge von 9 bis 17 Uhr? Das ist schwer vorstellbar.
8.) Der CEO ist ein Auslaufmodell. Er oder sie waren eine erforderliche autoritäre Funktion in den Jahrzehnten des Finanzkapitalismus, doch seine/ihre Zukunft ist limitiert. Die Funktion des CEO könnte sich zu einem rollierenden System weiter entwickeln oder vielleicht auch zu einer Teamfunktion wie bei der Deutschen Bank oder bei SAP. Bei der Deutschen Bank hat man bei der letzten Skandalmeldung über Steuerprobleme und Hausdurchsuchungen gemerkt, dass die Teamfunktion stabilisierende Wirkung hatte. Co-CEOs bewachen sich gegenseitig.
9.) Die „Gute Gesellschaft“ (Robert J. Shiller), die wir vermutlich alle wünschen und nach deren Implementierung viele streben, wird andere Leader haben und andere Leadership-Modelle entwickeln. Diese werden in höherem Masse als bisher digitale Implementierungen fördern. Traditionelle Führungs- und Kontrollaufgaben können in Social Software abgebildet werden. Aber das heisst auch, Performance und Bezahlung aller Mitarbeitenden einschliesslich der Leader wird extrem transparent sein und eventuell eine geringere Einkommens-Schere aufweisen.
10.) Die einzige Sache, die mir als Kommunikations-Strategin schleierhaft bleibt, ist die Frage, was diese neuen Leader sagen werden, wenn sie ihre „quarterly earnings calls“ abhalten. Wenn das Wort Wachstum „out“ ist, was wird „in“ sein?
Was möchten Sie hören? Lassen Sie es mich wissen.
Kommentare
Kommentieren
Die beliebtesten Kommentare
-
Jeder Kleinunternehmer kann bestätigen: der CEO ist lebenswichtig für ein Unternehmen. Es ist unglaublich schwierig in einer demokratischen Art und Weise ein Schiff durch unruhige Zeiten zu lenken.
Viele Konzerne sind allerdings nahezu bewegungslose Tanker. Hier ist ein CEO wirklich überflüssig. Man sieht ja, wie überfordert eben diese sind, wenn es mal nicht mehr so läuft wie gehabt.
Gute Firmen brauchen aber einen CEO und der soll auch das Sagen haben. -
Wachstum ist ein Alibi-Wort. In unserer mitteleuropäischer Luxuswelt ist Wachstum quantitativ ohnehin nicht mehr möglich – allenfalls noch qualitativ. Oder wohin sollen wir noch wachsen – frage ich? Wir sind eine Wegwerfgesellschaft, gesättigt und doch irgendwie unzufrieden. Urs Gasche der frühere SRF-Kassensturz-Moderator (nebenbei: glaubwürdiger, sachlicher und kompetener als es Roger Schawinski es je war!) hat zusammen mit Hanspeter Guggenbühl ein Sachbuch mit dem Titel „Schluss mit dem Wachstumswahn“ verfasst. Ein Schuss ins Zentrum dieser Problematik.
-
Klaus Schwab vom WEF sollte sich Ihren Punkt 8 mal genauer anschauen und mit der DB oder SAP vor Ort in Davos darüber sprechen wie man heute ein Unternehmen führt bzw. die Nachfolgeregelung zeitgerecht aufsetzt…
http://www.20min.ch/finance/news/story/Das-WEF-hat-seinen-Zenit-ueberschritten-19805556
-
Das Neue Wort das meiner Meinung nach Wachstum ersetzen wird ist Qualität ! Ein Unternehmen muss nicht zwingend immer BIGGER werden. Es muss also den Analysten klar gemacht werden, dass keine Unternehmen, kein Staat immer nur wachsen kann. Die Qualitätskriterien müssen viel stärker gewichtet werden. Mehr EBIT für die Gesellschaft / Aktionäre, mehr Lohn für alle Angestellte (CEO’s sind oft auch Angestellte), bessere Kostenkontrolle, weniger CO2 Ausstoss usw…
-
Diese Rechnung (Weniger Wachstum + Mehr Qualität = Mehr EBIT + Mehr Lohn für Angestellte) geht nicht auf. Wir leisten uns eine Luxusdiskussion. Globale Märkte sind nie stabil (ausser sie sind staatlich reguliert), sondern ein ständiger Überlebenskampf. Wachstum ist für Unternehmen essentiel. Ansonsten sind sie auf der Verliererseite, weil die Konkurrenzunternehmen grösser werden und entsprechend mehr in Forschung und Entwicklung und Marketing/Vertrieb investieren können.
-
-
Glücklich das Unternehmen, das auf diese Kommunikations-Strategin verzichten kann.
-
-
Ach, Frau Müller-Zantop und all die anderen Kommunikations-Besserwisser(innen), die noch nie für ein produzierendes Unternehmen verantwortlich waren: Das einzige, was wirklich immer wächst, sind die Ansprüche Ihrer „99 Prozent“ und die vielen Forderungen/Regulierungen der Öffentlichkeit. Ohne Wachstum gehen wir daher sofort ins Schrumpftum über, und daraus resultiert eine Gesellschaft mit mehr Stress, mehr Aggressivität und (noch) mehr Sozialneid. Vielleicht auch Krieg, denn Staaten ohne Wachstum suchen schnell die Lösung bei den anderen. Die von Ihnen ersehnte allgemeine Demokratie in der Wirtschaft geht nicht, das wurde schon versucht und führt zu totaler Verwahrlosung, da die finanzielle Verantwortung fehlt. Aktionärskapitalismus ist hingegen per se demokratisch: Wer etwas spart und sich einkauft, wird Miteigentümer. Und kann einen toughen CEO wählen oder einen Wohlfühl-Frühstücksdirektor, wie es ihm beliebt. Ist doch toll, Frau Müller-Zantop!
-
Vorschlag zu Punkt 10: Wie wäre es mit folgenden Themen
– Einbindung der Kunden in die Entwicklung des Unternehmens
– Kundenerwartungen und wie diese im Unternehmen umgesetzt werden
– Kundenvertrauen und Kundenzufriedenheit
– MitarbeiterzufriedenheitWäre mal was Neues und auch nicht schlechter als nur immer „Wachstum“
-
Interessante Gedanken
Interessante Gedanken
Vorschlag zu Punkt 10: Wie wäre es mit folgenden Themen - Einbindung der Kunden in die Entwicklung des Unternehmens -…
Ach, Frau Müller-Zantop und all die anderen Kommunikations-Besserwisser(innen), die noch nie für ein produzierendes Unternehmen verantwortlich waren: Das einzige, was…