Wir fangen mit den schwierigen Gesprächen an, auf die sich das „nicht um den heissen Brei herumreden“ bezieht. Der häufigste Fall dabei sind unterschiedliche Gesamt-Beurteilungen. Je nach den dahinterliegenden Gründen ist ein anderes Vorgehen im Gespräch angezeigt.
Ebenso wichtig für das Gespräch wie die Beurteilungen sind die (tatsächlichen oder vermuteten) Konsequenzen, denn die sind real spürbar. Häufig wird in der Praxis die Beurteilung darum ja auch darauf ausgerichtet. Diese Konsequenzen werden im Gespräch darum immer einen Hauptpunkt darstellen.
Wie vage oder konkret Konsequenzen benannt werden können, hängt von den Umständen ab; je schwerwiegender (positiv oder negativ) und konkreter die Konsequenzen sind, desto mehr würde ich sie an den Anfang des Gesprächs nehmen.
Betreffend der durchs Qualifikationsgespräch ausgelösten Motivation oder Demotivation ist eine Generalisierung sicher falsch. Nur wenn Chef und Mitarbeiter konkret wissen, was sie motiviert und demotiviert (ein Denkfehler ist zu glauben, andere wären diesbezüglich gleich gestrickt wie man selber), kann das Gespräch auch in schwierigen Situationen mit einem positiven „So könnte es für uns beide funktionieren“ abgeschlossen werden.
Erste Frage ist immer: Was will ich als Vorgesetzter, was als Mitarbeiter im Gespräch erreichen? Notieren Sie sich das in der Vorbereitung, beispielsweise minimal „die Gründe verstehen“, oder maximal „das Rating geändert haben“, dazwischen: „die Konsequenzen abschätzen / beeinflussen“, „Massnahmen vereinbaren“, „mein Gesicht wahren“, „Position verteidigen“, „heil aus der Sache rauskommen“, „das Ganze möglichst schnell hinter mich bringen“, „Bonus erhöhen“, „Leadership zeigen“, „Lernen, wie ich mich verbessern kann“, „Missverständnisse aus dem Weg räumen“.
Wenn Sie wissen, was Sie erreichen wollen, können Sie Ihre Gesprächsstrategie klarer festlegen. Auch hierzu würde ich mir einzelne Punkte notieren, wobei Sie im Kopf flexibel bleiben müssen, weil der Gesprächsverlauf ja von beiden Seiten her unerwartete Wendungen nehmen kann. Spielen Sie „was … wenn?“- Situationen durch.
Es geht hier nicht um die offensichtlichen Fälle von schwacher Leistung, eindeutigem Fehlverhalten oder ungenügender Kompetenzen; diese können mit den Können/Wollen-Überlegungen (will/skill matrix) als einem Element des situativen Führungsverhaltens schon während des Jahres bearbeitet werden. Wir befassen uns mit den diffuseren Zwischentönen und schrägen Situationen, die so viel schwieriger zu handhaben sind. Wir nehmen an, dass auch der Mitarbeiter die Ratings einige Zeit (Tage) vor dem Gespräch sieht, damit er sich gut vorbereiten kann.
Die Zahlen beziehen sich auf 9 Situationen, die in der Matrix dargestellt sind.
A. Beurteilung durch Vorgesetzten tiefer als Selbstbeurteilung Mitarbeiter (rote Bereiche 2,3,6)
Wo zu erreichende Ziele eindeutig messbar, wo gewünschtes Verhalten klar beschreibbar, wo relevante Kompetenzen gut erfassbar sind, dürften Abweichungen in der Beurteilung nicht vorkommen. Wenn doch, müssen andere Ursachen vorliegen (siehe unten).
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Weil die gerade erwähnte ideale Klarheit häufig nicht gegeben ist, hat der Vorgesetzte in dieser Situation der „Unschärfe“ die Aufgabe, seine abweichende Position (inklusive derjenigen von Drittbeurteilern) zu begründen und durchzusetzen – es sei denn, es ergäben sich im Gespräch wirklich neue Erkenntnisse, was aber sowohl Mitarbeiter wie Chef in einem schlechten Licht erscheinen liesse (ungenügende Kommunikation?). Eine lange Diskussion erscheint mir fruchtlos; es sollte rasch und bestimmt zu den Konsequenzen und Verbesserungsmöglichkeiten übergegangen werden.
Die Frage „Was kann ich tun, um nächstes Jahr meine Ziele zu erreichen und ein besseres Rating zu erhalten?“ dürfte dabei im Zentrum der gegenseitigen (!) Ideen- und Entscheidfindung sein. Beide Seiten müssen sich darauf gut vorbereiten, im Wissen, dass es keine Garantie für eine künftige Verbesserung gibt, aber dass die Bemühungen doch ehrlich gemeint und von gegenseitigem Respekt getragen sind. Ein passives „Sagen Sie mir, was ich tun soll!“ zeugt von mangelnder Selbstverantwortung oder ist ein Zeichen, dass die Situation bereits verfahren ist.
Nun also zu diesen „anderen Ursachen“ der abweichenden Bewertung, wenn also weder Leistung, Verhalten noch Kompetenzen eine unterschiedliche Bewertung rechtfertigen, sondern ein Rating „von den gewollten Konsequenzen her“ erfolgt. Diese können sein: Provozieren eines „freiwilligen“ Abgangs, Vorbereitung einer späteren Entlassung oder Nichtberücksichtigung bei Reorganisationen, Druck von oben (impliziter oder expliziter Zwang zur Normalverteilung), Schutz der eigenen (Chef-)Position, Nichteinhalten früherer Versprechungen (Beförderung), Mobbing, Rückstufung, Gehalts- und / oder Bonuskürzung, versteckte Diskriminierung (Alter, Teilzeit, Krankheit). Der Giftschrank „Missbrauch der Qualifikation“ ist gut gefüllt und wird häufig geöffnet.
Natürlich werden diese anderen Ursachen im Gespräch so nicht angesprochen; wer als Mitarbeiter spürt, dass er sich in einer solchen Situation befindet, wird dieses Gespräch vermutlich wie im (Alb)Traum erleben und sich dabei bereits Gedanken zu möglichen Szenarien machen: eine andere Position suchen, hoffen, dass der Vorgesetzte wechselt …
In Fällen solch objektiv empfundener krasser Ungerechtigkeit würde ich eine Aktennotiz oder etwas Ähnliches mit der eigenen Meinung verfassen und ins HR geben, nicht um eine Änderung zu bewirken, sondern für allfällige spätere Auseinandersetzungen. Das Ankreuzen von „Bin nicht einverstanden“ genügt nicht.
Wenn nicht nur der Vorgesetzte, sondern auch Drittbeurteiler begründete, also auf konkreten Beispielen (Evidenzen) beruhende, von der Selbstbeurteilung abweichende Einschätzungen abgeben, wäre ein Coaching des Mitarbeiters hin zu einer realistischen Selbstbeurteilung angezeigt, was über die Qualifikation hinaus ein wesentliches Element beruflicher Fitness ist. Beginnen kann man damit bereits im Qualifikationsgespräch, mit späteren Fortsetzungen; idealerweise als After Action Review, Anerkennung, aufbauender Kritik und natürlich unterstützt von weiteren on- und off-the-job Entwicklungsmassnahmen.
B. Beurteilung durch Vorgesetzten höher als Selbstbeurteilung Mitarbeiter (orange Bereiche 4,7,8)
Gehen wir davon aus, dass Sie als Chef das endgültige Rating noch nicht festgelegt haben. Wie sollen Sie in dieser Situation handeln? Ihr besseres Rating einsetzen oder aufs Niveau der Selbstbeurteilung des Mitarbeiters runtergehen?
Fürs Runtersetzen eines hohen Ratings spricht, dass Sie damit ja die Erwartungen des Mitarbeiters trotzdem erfüllen und Sie genug andere haben, die sich überschätzen oder die Sie hoch bewerten wollen. Falls Sie eine Normalverteilung erreichen müssen, kommt Ihnen das entgegen, und das Erwartungsmanagement ist auch einfacher.
Und trotzdem: Ganz wohl wäre mir bei der Sache nicht. Ich würde ein Vorgespräch führen (ohne meine Einschätzung offen zu legen), um die Sicht des Mitarbeiters zu verstehen, und erst dann entscheiden.
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Wenn Sie sich auf ein Rating herunterlassen, das im ungenügenden Bereich ist, handeln Sie sich möglicherweise ein Problem für die Zukunft ein, indem Sie bei einem Stellenabbau jemanden opfern müssen („alle Ungenügenden weg“), der für Sie eigentlich wertvoll ist.
Fürs höhere Schlussrating spricht, wenn nachvollziehbare Gründe zu einer Fehleinschätzung durch den Mitarbeiter geführt haben, was in einem neuen Team, bei kulturellen Unterschieden oder mangelndem Selbstvertrauen des Mitarbeiters vorkommen kann.
Vielleicht wollen Sie auch jemanden wegbefördern oder für eine Versetzung an eine andere Stelle „attraktiv“ machen? Der Giftschrank „Missbrauch der Qualifikation“ ist auch in diesem Bereich vorhanden.
C. Beurteilung durch Vorgesetzten mehr oder weniger gleich wie Selbstbeurteilung Mitarbeiter (grüne Bereiche 1,5,9)
Der häufigste Fall, beide kommen zu einer Beurteilung „gut“/„erfüllt“, birgt die Gefahr in sich, dass ein gemütliches Gespräch geführt wird. Natürlich soll und darf man zufrieden sein, aber: Das Umfeld ändert sich heute derart schnell, dass unbedingt auch ein Entwicklungsgespräch geführt werden muss.
„Was wäre, wenn …“; es geht nicht darum, Angst zu machen, sondern Schritte einzuleiten, mit denen die berufliche Fitness längerfristig gewahrt bleibt – das ist ja das Grundthema all meiner Beiträge hier. Klicken Sie sich doch durch diejenigen durch, die jetzt relevant sind (Sie finden alle Links am Schluss).
Die ausserordentliche Situation, dass beide eine überdurchschnittlich gute Beurteilung abgeben, ist selbstverständlich erfreulich, hat aber auch ihre Konsequenzen: Erwartungsmanagement ist gefragt. Versprechen Sie als Chef nichts, was Sie nicht liefern können (Lohnerhöhung, Bonus, Beförderung, Talentpool, Seminare).
Verweisen Sie darauf, dass kein „mechanistischer“ Zusammenhang zwischen aktuellem Rating und Belohnung besteht, sondern dass in der Regel zusätzliche Elemente zu berücksichtigen sind (Ratings über mehrere Jahre, Total Compensation, auch im Vergleich zu anderen).
Wenn allerdings trotz hervorragender Qualifikation „nichts“ passiert, besteht die Gefahr der Frustration und des sich nach unten Anpassens („Warum soll ich mich so reinhängen, wenn nichts dabei herausschaut?“) oder des Abwanderns.
Falls monetär und rangmässig nichts drinliegt (was man offen kommunizieren muss), können andere Motivatoren (je nach Persönlichkeit) erwogen werden: mehr Visibilität, mehr Präsentationsmöglichkeiten intern und extern, Leitung wichtiger Projekte mit Einfluss im Top-Management, Stellvertretung, wichtigere Kunden, Auftritte an externen Veranstaltungen, Einsatz als Experte oder als Erfolgsbeispiel (für „best practice“, „learning from the best“) an hochkarätigen Seminaren.
Als Mitarbeiter machen Sie sich darüber hinaus über den nächsten Karriereschritt Gedanken und sprechen das an. Möglicherweise gibt es in Ihrer Firma noch spezifische „Entwicklungsgespräche“ zu einem anderen Zeitpunkt; trotzdem sollten Sie das unbedingt schon jetzt thematisieren, weil das Eisen noch heiss ist.
Was „Entwicklung“ sein kann und für Sie persönlich bedeutet, muss jeder selber herausfinden; das ist ein permanenter (Denk- und Fühl-)Prozess, für den Sie in unseren Beiträgen hier ebenfalls jede Menge Inputs finden, so im ersten Beitrag „Standortbestimmung“.
Der Fall einer übereinstimmenden schlechten Beurteilung darf nicht zu Kurzschlüssen führen. Es gibt Beurteilungssysteme, bei denen nach einer Beförderung infolge der wesentlich gesteigerten Erwartungen eine schlechte Qualifikation nicht als Misserfolg, sondern als Station eines Lern- und Entwicklungsprozesses gesehen wird.
Allenfalls ist auch das „Peter-Prinzip“ wirksam geworden, wobei der Betroffene in den seltensten Fällen selber zur Einsicht gelangt.
Der Vorbereitungs- und Gesprächsfokus wird sich hier (und auch in allen anderen „nicht hoffnungslosen Fällen“) auf erfolgsversprechende Massnahmen richten.
Bei den problematischeren Fällen spielt die will/skill matrix natürlich wieder eine Rolle.
Weil wir uns bewusst auf die schwierigeren Fälle konzentriert haben, könnte der falsche Eindruck entstehen, dass wir es im Qualifikationsgespräch nur mit Problemen und negativen Begleiterscheinungen zu tun haben. Das ist in der Praxis natürlich nicht der Fall; meistens kann der Fokus des Gesprächs darum auf einem gemeinsamen Blick in die Zukunft liegen. Jeder unserer bisherigen Beiträge (siehe unten) bietet dafür wertvolle Anregungen.
Mit der Übersicht und den Links zu bereits erschienenen IP-Standpunkten zur Beruflichen Fitness (in Klammern jeweils die Bank-Beratung als analoger Prozess) verfügen Sie über ein praktisches Werkzeug als Hilfe zur Selbsthilfe.
1. Standortbestimmung / Selbsterkenntnis (Understand your Client)
2. Optionen / Grundsätzliche Möglichkeiten (Propose)
3. Entscheiden und Umsetzen, mit 9-Box (Decide and Implement)
4. Laufende Überprüfung und Anpassung, mit Erfolgs-Equalizer (Review)
5. Weiterbildung mit 50plus … oder jünger
6. Ihre Bewerbung wirkungsvoll gestalten
10. Qualifikationsgespräch
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