Jetzt sind nur noch die einfacheren Banker in der Stadt unterwegs. Die fetten Frühlings-Boni haben sich in schöne Gärten von Enzo Enea oder einen neuen Mercedes 500 AMG verwandelt. „Ossi“ Grübel, der Vater der neuen Schweizer Boni-Kultur, sitzt oberhalb von Malaga im Grünen und verscherbelt von dort 6 Millionen-Euro-Villen, ein Geschäft, das ihm heute mehr Spass macht als die Rettung maroder Banken.
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Sogar der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat sich zum Beginn der Sommerferien gemeldet und zur Freude vieler wissen lassen: 13’000 Menschen in der Schweiz haben im letzten Jahr mehr als eine Million Franken Einkommen versteuert. Freude herrscht, wir sind im Club. 160’000 Schweizer, zwei Prozent der Bevölkerung, besitzen ein Vermögen so gross wie die anderen 98%. Lasst uns feiern, aber wo?
Wollen wir in unsere „gated city“ nach Florida, wo Golf und „easy sex“ locken, dazu noch sanitarisch einwandfrei und ohne „moral risk“? Ohnehin fliegen nur Mittel- und Unterklasse nach Thailand, wo es zwar billiger, aber meist auch mit höheren Risiken verbunden ist. Nein, „The villages“ bei Orlando ist zwar stocklangweilig für jene letzten unter uns, die ein kluges Buch nicht nur lesen, sondern auch diskutieren wollen. Das ist es nicht, was wir wollen: Ein gesunder Körper mit einem kranken Geist, wo ich mich zwischen Hillary Clinton und Donald Trump entscheiden muss. Die Mücken habe ich gratis im Vorgarten, dann aber gleich zu Tausenden. Immerhin, „crocos“ haben keinen Zutritt zu unseren Pools, das findet nur draussen statt, wo die weniger Kultivierten leben.
Aldous Huxleys Wahlspruch aus seinem Roman „Schöne neue Welt“ ist Wirklichkeit geworden: Kollektivität, Identität, Stabilität. Das ist es, was mich auf den Inseln US-amerikanischer gehobener Bürgerlichkeit erwartet. Draussen ist die Wildnis, wo die Menschen nicht strahlend geliftet und immer „most beautiful, darling“ sind, wo die Kliniken nur öffentlich und auf keinen Fall so gut sind wie die bewachten privaten. Gleichzeitig wachsen unsere Kinder und Enkel im „Circle“ auf, der IT-Welt von Microsoft, Google und Facebook, wo die Pflicht zu Glück, Achtung und Einheit schon die Voraussetzung dafür ist, überhaupt eintreten zu dürfen.
Will ich in dieser “gated city“ meine nächsten drei Wochen verbringen? Wirklich? Oder ist es nicht die gepflegte Wildheit der Schweiz, die mich mehr anzieht? Jetzt füllen sich die Häuser und eleganten Wohnungen in Gstaad. Der Musiksommer steht vor der Tür, der „Golden Rail“ bringt mich nach Montreux an den Léman, wo der Jazz mich an meine Jugend im Unikeller erinnert. Morgen locken mich die Geissenpfade weiter oben. Der letzten Schneeflecken nicht achtend, die Absturzgefahr bedeuten, weiche ich den Bikern aus, die ihre Pisten verlassen haben. Luzern, Genf, Lugano, sogar Rapperswil-Lachen bieten einen Hauch von Monte Carlo und Baden-Baden. Die Sonnenschirme fest in der Hand, auf der Suche nach der besten „Bloody Mary“.
Eine Stufe wilder geht es eine Autostunde weiter östlich zu. Hinter Verbier und Crans Montana locken die wilden Seitentäler des Wallis, grosse Kultur inbegriffen. Zermatt und Saas Fee sind unschlagbar, weil sie den jung gebliebenen Joggern freien Lauf und den alt gewordenen Schenkeln bequeme Bergbahnen bieten.
Das ist die Schweizer Freiheit gegen die der „gated cities“ der Amerikaner. Bei uns weht die Luft noch frischer und der Atem geht schneller. Hier erhalte ich seltener ein Lächeln als drüben, höchstens von Gastarbeitern aus Deutschland und Österreich, weshalb ich mir holen muss, was nicht geschenkt wird. Es bleiben die Rückzugsräume in die tiefen Polster der grossen Hotels, in die Lounges, wo noch geraucht werden darf und wo das „rib eye“ zwar kleiner ist als im Grossen Westen, aber meist schmackhafter, weil weniger sehnig.
Hier draussen in der Schweiz herrscht noch Freiheit. Die materielle Form dieser Freiheit wollen wir nicht unterschätzen, denn an Eichenholztischen unter Hirschgeweihen lebt sich besser als auf den rohen Holzbänken des Volkes. Wir haben aber auch die geistige Freiheit, wie sie in der alten US-Elite des Ostens noch anzutreffen ist, sonst aber nur selten, und Diskussionen bei Art Furrer auf der Riederalp, wo Peter Brabeck die schönsten Luxussuiten hat bauen lassen, halten mit Aspen spielend mit.
Mein Plädoyer für Ferien in der Schweiz ist nicht nostalgisch, sondern hoch aktuell. Wer über den Atlantik fliegt, braucht mehr CO2, als er in einem Jahr wieder sparen kann. In den USA herrscht Klassenkampf, rund um das Mittelmeer lauern die islamischen Radikalen. In Al Andalus muss man, wie heute in Sevilla, die Zeichen der Armut übersehen, ganz wie in Indien auch.
Erholt kommen wir aus den Bündner, Berner oder Walliser Bergen zurück. „Amerika, du hast es schöner“, das war einmal. Wir leben die wahre Freiheit, den Luxus und den Genuss blauer Stunden, die auf Gras und Holz im leuchtenden Licht der Berge auch die Sterne des Südens bei weitem übertreffen.
Schöne Ferien allseits.
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Die beliebtesten Kommentare
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Ich gehe nach Amerika in die Ferien, da ich nur dort einigermassen sichergehen kann, dass ich nicht in jedem Hotel, in jedem Einkaufszentrum usw die Sprache unserer nördlichen Nachbarn hören muss. Ja ich fliehe vor der Uebermacht der Deutschen in der Schweiz. Nirgends hat man seine Ruhe. Herr Stöhlker hat alle die Plätze aufgeführt wo sich die Deutschen tummeln. Sie verstehen das nicht Herr Stöhlker? Das glaube ich Ihnen, Sie haben ja trotz Schweizer Pass immer noch die deutsche Mentalität im Blut.
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Danke Herr Stöhlker für diesen bodennahen und kräftigen Standpunkt. Ihre Gedanken sprechen mir aus dem Herzen. Von dieser Seite habe ich Sie bislang nicht wahrgenommen.
In diesem Zusammenhang kommt mir auch Carl Zuckmayer’s «Als wär’s ein Stück von mir» wieder in den Sinn: die Wucht, Klarheit und entwaffnende Ehrlichkeit der Walliser Bergwelt als Symbol des ewig Überzeitlichen. Ihnen auch einen erholsamen Sommer! -
Lieber Gruss aus La Zagaleta an Hr. Stöhlker – den umtriebigen und rastlosen Rentner vom Zürichsee.
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Ja, die Erinnerungen aus dem Unikeller. Ist das jetzt ein versteckter Hinweis, dass er studiert hat? Wo und was hat er studiert, hat er sein Studium abgeschlossen? Und dann die Äusserung, dass er in der Schweiz selten ein Lächeln erhält, ausser von Deutschen Gastarbeitern. Ist das jetzt das alte Klischee oder schon Rassismus?
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Amüsanter Artikel. Allerdings werden die Enea-Banker sich kaum in the Villages niederlassen wollen, das ist ihnen zu prollig. Vielleicht Royal Palm in Boca Raton? da kostet aber ein Häuschen schon mal USD 3 Mio. aufwärts… Gartengestaltung nicht inklusive…
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Es war eine Freude Ihren Beitrag zu lesen! Treffend geschildert. In Ihnen steckt mehr Poet als vermutet :-).
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Stöhlkie wird ja auf’s Alter noch richtig gut!
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……. und filosoof.
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Lieber Herr Stölcker
Wiedereinmal hat es mich sehr gefreut Ihren Artikel zu lesen. Sie haben ja so recht. Die Welt dreht sich schneller als wir dachten. Wer ist schon dem Risiko eines Anschlags im Ausland ausgesetzt. Und doch bin ich und meine Partnerin dem Attentat in Nizza nur um ein paar wenige Stunden entgangen. Wäre doch die Parade und das Feuerwerk ein weiteres Highlight vor unserem Hotel an der Promenade in Nizza gewesen. So hab ich mich, instinktiv oder was auch immer, am selben Tag am Nachmittag für die schnelle Abreise entschieden.
Lieber treffe ich Sie da wieder in den heimischen Walliser Bergen, wo man uns zwei Wahlzürcher meistens nicht vermutet, auf ein kleines Bier mit dem Blick auf das Bietschhorn. Das ist dann der wahre Luxus, wo wir als viel gereise schätzen und uns über alles was uns so bewegt austauschen können. Ich freue mich schon darauf.Herzlichst ihr Egon Blatter
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Ein eloquentes Plädoyer für eine Quintessenz, die sitzt. Gut beobachtet von der Detail-Textur bis zum grossen Zusammenhang.
Danke, Herr Stöhlker, für diesen luziden Beitrag.
Ein eloquentes Plädoyer für eine Quintessenz, die sitzt. Gut beobachtet von der Detail-Textur bis zum grossen Zusammenhang. Danke, Herr Stöhlker,…
Lieber Herr Stölcker Wiedereinmal hat es mich sehr gefreut Ihren Artikel zu lesen. Sie haben ja so recht. Die Welt…
Stöhlkie wird ja auf's Alter noch richtig gut!