„Wer weniger als 100’000 Franken netto im Jahr verdient, ist arm“, sagt mein Schweizer Anwalt, der nicht nur Scheidungen durchführt. Wenn er aber Scheidungen begleiten muss, rät er den beiden Partnern: „Lasst Euch nur dann scheiden, wenn für jeden 150’000 Franken netto pro Jahr übrig bleiben, um eine Wohnung und auch die Kinder mit deren Ausbildung finanzieren zu können.“
Im Kanton Zug wie auch an der Zürcher Goldküste mehrt sich die Zahl der Ausländer („3rd country nationals“), die ihre Kinder bei den öffentlichen Schulen anmelden. Sie können sich angesichts sinkender Boni die teuren Privatschulen für zwei und mehr Kinder nicht mehr leisten. Gleichzeitig haben sie begriffen, dass auch die staatlichen Schulen in der Schweiz mehr bieten, als dies andernorts in der Welt der Fall ist.
Eine junge Familie mit zwei Kindern braucht in den städtischen Agglomerationen heute auf jeden Fall rund 150’000 Franken im Jahr, um so zu leben, wie man sich ein Leben in der Schweiz vorstellt: hübsche Wohnung oder kleines Haus, ein grösseres und ein kleines Auto, kulturell aktiv, zweimal Ferien im Jahr, dazu modisch-elegante Kleidung, Restaurantbesuche.
Da im Kanton Zürich das Medianeinkommen bei jährlich 60’000 liegt – die Hälfte verdient mehr, die andere Hälfte weniger -, lässt sich leicht erkennen, weshalb auch die meisten Frauen berufstätig sein müssen. Erst zwei Einkommen sichern das angenehme Leben, weshalb Kinder eine enorme Belastung sind; weil die Frau dann als Geld Verdienende ausfällt oder die Kosten für die Kinder die Eltern zum Konsumverzicht zwingen.
Natürlich gibt es grosse bis gewaltige Unterschiede, wie man sein Leben in der Schweiz gestalten kann. Sehr gut gestellt ist man als oberes Kader sämtlicher Verwaltungen und staatsnaher Betriebe, wie Universitäten, Pfarreien oder sozialer Einrichtungen. Als National- und Ständerat erhält man 140’000 bis 170’000 im Jahr, und zwar für einen Halbtagesjob, bei dem man zahlreiche Nebenberufe pflegen kann, sodass die berühmte erste „halbe Kiste“ für den Einstieg in die höheren Ränge bei einigem Talent nicht zu schwer fällt.
Journalisten geht es seit einiger Zeit immer schlechter, weshalb ein höheres Mass an Gereiztheit verständlich ist. Wer, wie beim jungen Online-Magazin „Republik“, ein festes Bruttoeinkommen von 8’000 Franken hat, schläft als Velofahrer in Zürich auf der sicheren Seite. Die Zahl der Grossverdiener in den Medien mit Jahreseinkommen von mindestens 300’000 dürfte auf das „dirty dozen“ geschrumpft sein.
Im Kanton Aargau gelten gemäss einer SP-Initiative Bezüger von Jahreseinkommen unter 100’000 Franken als Geringverdienende, über 100’000 als Gutverdienende, wobei letzteres nur für Singles gilt. Wer eine Familie mit Kindern hat, gilt erst ab 200’000 als Gutverdiener. Reich ist, wer mehr als 320’000 jährlich einnimmt. In Zollikon an der Zürcher Goldküste zahlen fünfhundert Einwohner die Hälfte der Steuern, die anderen zehntausend Steuerpflichtigen den Rest.
Kein Wunder, dass der Druck auf die „seriously rich“ enorm zugenommen hat. Superboni gehören in der Pharmaindustrie und bei den Schweizer Banken längst der Vergangenheit an. „Niemand soll mehr als 10 Millionen Euro verdienen“, sagt auch der Personalvorstand der sich in sehr schlechtem Zustand befindlichen Deutschen Bank in Frankfurt.
Unterhalb dieser Zehn-Millionen-Grenze gibt es in der Schweiz wie andernorts allerdings viel Spielraum. 500 bis 1’000 Mitarbeiter von UBS und CS dürften eine Million Franken im Jahr und mehr verdienen. 35% von total 127 aller in der Schweiz tätigen Radiologen verdienen über 1,5 Millionen bis hin zu fünf Millionen.
Das gilt auch für andere Spitzenärzte, wo Ehrengaben reicher Patienten für deren Stiftungen als Dank für die Genesung nicht eingerechnet sind. Das kann nicht selten ein bis zu zweistelliger Millionenbetrag sein.
Man wird mir entgegen halten, man könne auch mit wenig Geld glücklich sein – und oft sogar mehr als jene Reichen, die in ihren Rolls weinen. Es gehe letztlich um die Würde eines jeden Menschen als Grundlage seiner Freiheit.
Sicher ist dies richtig, denn das Leben in der künstlerischen oder sozialen Bohème war immer eine Attraktion, sei es Hermann Hesse als Nacktkletterer am Walensee, die Menschen auf dem Monte Verità, die Rote Fabrik in Zürich oder die Reithalle in Bern.
Hätten wir im ganzen Land zwischen Zug und Céligny nicht derart viele wohlhabende bis superreiche Ausländer, stünde die Schweiz plötzlich relativ arm da. Unser BIP würde zusammen brechen. Aus der reichen Schweiz würde plötzlich eine Art Oberitalien oder Tirol. Der Kanton Bern könnte nicht mehr mit drei Millionen Franken am Tag subventioniert werden, die Jurassier und die Walliser müssten auf viele Strassen, Schulen und Sozialleistungen verzichten.
Vor 600 Jahren waren Jakob Fugger und Kaspar Jodok Stockalper in Brig mit je einem Prozent des BIP als Privatvermögen viel reicher als einst John D. Rockefeller mit 0,3% oder Jeff Bezos heute mit 0,16% des US-BIP. Die reichen Schweizer mit Christoph Blocher an der Spitze gehören heute zu den armen Milliardären der Welt.
Jetzt geht es um die Wurst (oder das goldene Oster-Ei). Sollen wir wieder ärmer werden, sparsamer leben, energiefreundlicher konsumieren?
Ich denke, ein Viertel aller echten Schweizer wird sich dies vorstellen können. Es weiss noch, was es heisst, in einem Bergdorf im Bündnerland oder im Wallis zu leben. Die Edel-Aussteiger im Tessin leben uns dies bis heute vor.
Ein weiteres Viertel der Schweizer lebt ohnehin in einem eher stagnierenden Zustand. Dort fehlen alle Impulse, sich aus dem relativen Niedergang zu befreien.
Das dritte Viertel hat den Kampf um den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg noch nicht aufgegeben. Das ist der global wettbewerbsfähigste Teil unserer Bevölkerung.
Das vierte Viertel ist wohlhabend bis sehr reich. Es lebt mit demonstrativem Konsum in der Schweiz oder heimlich an der französischen Riviera – oder irgendwo sonst in der Welt.
Wie kann die Mehrheit der Normalverdiener den Fahrstuhl nach oben wieder in Gang setzen?
Es gibt nur drei Möglichkeiten. Bald erben, gut heiraten oder – die dümmste Lösung: sehr fleissig und sehr talentiert Tag und Nacht selber arbeiten.
@Laura Stern alias Samira Courti Müssen Sie Ihre immer gleiche Ergüsse über Klepto-Ochlokratie wirklich überall posten? In…
Verständlich, als nächster Schritt wird wohl die "Armuts"-Definition auf 100'000.-/Jahr festgesetzt. Dass die links-grünen Abzocker und ihre…
Liebe Laura Stern Ihre Kommentare finde ich meistens sehr fundiert & stringent und alles andere als Ergüsse!…