Wann immer man einen Ausblick schreibt, erwartet der Leser und Anleger eine Antwort auf die Frage: Was muss ich jetzt tun, um im nächsten Jahr eine anständige Rendite – über der Inflation, ohne Eingehen grosser Risiken – zu erzielen?
Die Antwort ist theoretisch simpel: je nach Risikofähigkeit einen Korb aus sicheren Obligationen und Aktien weltführenden Firmen diversifiziert in verschiedenen Branchen kaufen.
Leider ist nun aber die ganze Lage ziemlich verkorkst. Fangen wir bei der Gegenwart an, mit einem Handelstag gestern, der in der Schweiz und Europa massive Verluste sah und in den USA ein Sprung aus tiefem Minus ins Plus in der Stunde vor dem Schlussgong.
2018 endet damit turbulent und in dieser Konstellation einmalig. Warum? Es war wohl die erste Marktkorrektur oder der erste Crash aller Zeiten, den nicht nur quasi die Spatzen vom Dach gepfiffen haben, sondern der sich – bis letzte Woche – Punkt für Punkt ans Drehbuch gehalten hat.
Nun hatten wir also die erwartete Korrektur. Nur: Exakt seit dem 24. Dezember sind wir noch schlechter unterwegs, als es im Drehbuch geplant ist.
Hinter uns liegt die schlimmste Woche der letzten zehn Jahre, mit dem S&P 500, der 7% innerhalb von 5 Tagen verliert.
Der ohnehin schwache Markt bekam genau zum dümmsten Moment die Signale, die er nicht hören will, und er verwandelte sich von einem Bären- in einen Panikmarkt.
Gründe: eratische Trump-Politik, versuchte Einmischung der Politik in Fed-Entscheide, weitere politische Turbulenzen (Rücktritt Verteidigungsminister), Government Shut Down.
Und die vollkommen missratene Mnunich-Aktion, welche die allgemeine Marktannahme, dass die grossen US-Banken fundamental in sehr guter Verfassung sind, plötzlich in Frage stellte.
Dies hat dazu geführt, dass die Volatilität extrem hochgeschnellt ist (VIX auf 31 – letztes Jahr um diese Zeit 10), und zwar – das ist die gute Nachricht – auf ein Niveau, das nicht nachhaltig ist.
Was dann? Der S&P 500 (und die allermeisten grösseren Märkte weltweit) haben in einem Quartal über 15% ihres Werts verloren, was selbst historisch gesehen sehr selten vorkommt.
Das Ausmass der Korrektur ist insofern erstaunlich, als ihr kein ökonomisch unerwartetes Ereignis gegenübersteht und wir uns nicht in einer Rezession befinden.
Warum also die Korrektur? Und wie gehtss weiter?
Möglichkeit 1: Algo-Trading. Noch nie wurde soviel Algo-Trading abgewickelt und so viel passiv angelegt.
Im letzten Quartal hatten viele Algos quasi einen Home run, weil der Markt sich bilderbuchartig an die technischen Signale hielt.
So höre ich, dass über 50% Gewinn keine Seltenheit waren (der Kryptobereich sei vielfach noch profitabler gewesen).
Die Zunahme systematischen Handels hat sicherlich den Job für Makroökonomen noch schwieriger gemacht, siehe auch das interessante Interview mit Druckenmiller on Economy, Stocks, Bonds, Trump, Fed vom 18.12.2018.
Falls dies der ausschlaggebende Faktor war, sollte 2019 eine Gegenbewegung stattfinden und sogar ein starkes Aktienjahr werden. Das führt uns zu Möglichkeit 2.
Der Markt irrte sich. Die Ökonomen haben Recht, es gibt keine Rezession 2019. Historisch ist die Ausgangslage hier klar: In jeder Rezession tauchten die Märkte mindestens in dieser Grössenordnung.
Doch es kam bereits einige Male vor (z.B. 1987), dass eine Marktkorrektur in der jetzigen Grössenordnung keine Rezession vorhersagte. Dann war immer das darauf folgende Jahr stark positiv.
Möglichkeit 3: Lichter aus. Ray Dalio postete auf seinem LinkedIn-Profil (siehe To Help Put Recent Economic and Market Moves in Perspective ) einen langen, lesenswerten Artikel über die grossen ökonomischen Zusammenhänge zwischen Markt und Realwirtschaft.
Etwas unzulässig auf den Punkt gebracht gilt es, den „short-term debt cycle“ (Zeithorizont 5 bis 10 Jahre) und den „long-term debt cycle“ (Zeithorizont 50 bis 75 Jahre) zu beachten.
Ersterer startete wohl mit der Finanzkrise, als es sinnvoll und notwendig war, den Markt zu „unterstützen“, und endet nun in einer Zeit, in der die Zinsen und Schulden längst wieder auf Normalhöhe eingependelt sein sollten.
Das könnte nun ausgerechnet auf das Ende des „long-term debt cycle“ fallen, während dem Jahr für Jahr die Zinsen auf langlaufenden Anleihen fielen und damit Obligationen sehr interessant waren.
Träfe das zu, dann wäre der Zeitpunkt gekommen, dass Staaten und Nationalbanken massiv den Markt stützen, um eine Depression zu vermeiden.
Und wenn die bereits stark verschuldet sind und nicht mehr agieren können?
Zudem scheint mir ein nicht zu unterschätzendes Risiko, dass in immer mehr Ländern die politischen Risiken zugenommen haben.
Was heisst das nun alles konkret?
Alle drei Szenarien sind nicht wirklich attraktiv für den langfristigen Anleger, und es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass die meisten „Legenden“ in der Börsenwelt seit Jahren mit Blick auf das nächste Jahrzehnt pessimistisch eingestellt sind.
Immerhin ist unabhängig vom Szenario eine Gegenbewegung zur jetzigen Korrektur sehr wahrscheinlich – und somit zur Zeit ein schlechter Ausstiegszeitpunkt.
Hinzu kommt, dass das Marktsentiment jetzt extrem „bearish“ ist – ein guter Kontraindikator.
Mit Szenario 2 hätten wir ausgehend von den derzeitigen Tiefstständen ein Super-Börsenjahr vor der Tür – vielleicht sogar nahe an vergangenen Höchstständen, aber vermutlich mit hoher Volatilität und Risiken.
Szenario 3 ist am schwierigsten zu interpretieren. Hier würden auf kurze Aufwärts- lange Abwärtsphasen folgen. Geld ist dann wohl nur mit Spekulation zu verdienen.
Und dann haben wir noch einen Joker in der Hand: die Innovation. Noch nie hatte unsere Welt so viele gut ausgebildete kluge Köpfe; von neuen Firmenkonzepten (wie Amazon) zu neuen Assetklassen (wie Bitcoin) – wir werden garantiert in den nächsten Jahren neue Highflyer sehen.
Es wäre ein fataler Fehler, Firmen mit monopolartiger Stellung, die mit starken Bilanzen Milliarden-Gewinne erzielen, vorschnell abzuschreiben.
Social Media, Cloud-Computing, Shared Economy, Consumer Brands, um ein paar zu nennen. Dennoch: Das Investieren wird anspruchsvoller.
(Extrakt für Inside-Paradeplatz-Leser; Originalartikel mit Kommentar „Longterm-Investor“ und weitere Investmentsdetails, siehe Longterm-Investor.)
Etwas mehr Sachlichkeit und historische Reflektion würde der gemachtem Aussage gut tun: „Der S&P (…) haben in einem Quartal über 15% ihres Werts verloren, was selbst historisch gesehen sehr selten vorkommt.“
Seit 1987 hat der SPX im Durchschnitt noch JEDES Jahr von seinem temp. Jahreshöchst zum temp. Jahrestiefst 13.8% Federn gelassen (avg. intra-year drawdown).
Quelle: https://am.jpmorgan.com/us/en/asset-management/gim/adv/insights/guide-to-the-markets
Es kommt somit micht selten, vielmehr regelmässig zu solchen temporären Verkaufswellem bei Aktienindices. Erstaunlich ist vielmehr, dass dies immer wieder zu Erstaunen führt.
Mein Rat:
Abwarten, bis sich ein neuer Aufwärtstrend (GD 200) ergibt.
Da die aktuelle Korrektur ein dynamischer Prozess ist, ist nicht ausgemacht, ob wir mittelfristig auf Sicht von ein bis zwei Jahren nicht in einer Baisse enden, vergleichbar wie von 2000 bis 2003.
Größere, spektakuläre Insolvenzen wie damals Enron und Worldcom stehen noch aus.
Zudem werden die amerikanischen Wertpapierkredite (Finra Margin Debt) – auch für diesen Monat – weiterhin getilgt:
http://www.finra.org/investors/margin-statistics
https://www.advisorperspectives.com/dshort/updates/2018/12/26/margin-debt-and-the-market-down-2-48-mom
Die als vergleichbarer Indikator verwendbaren Kurse zum GD 200 von Pflichtwandelanleihen systemrelevanter europäischer Banken (sog. „Coco – Bonds“) sind ebenfalls weiterhin am Sinken:
https://www.boerse-stuttgart.de/de/Deutsche-Bank-AG-Anleihe-DE000DB7XHP3
https://www.boerse.de/anleihen/Banco-Santander-SA/XS1043535092
Insofern ist aktuell eher Vorsicht angebracht.