Fast unbemerkt verbessern sich die Finanzmärkte in freudiger Erwartung all der versprochenen grossen Lösungen und vermitteln Zuversicht in all die angekündigten Schritte.
Die deutsche Kanzlerin zeigt sich offen und empfänglich für neue Massnahmen, der EZB-Notenbankchef greift in die Schublade und verspricht Hilfe durch Käufe von Obligationen von Schuldnerländern, die schon am Tropf hängen, kurzfristig orientierte Trader springen auf den fahrenden Zug auf, Bankstrategen und Analysten ändern zum wiederholten Male ihre Prognosen und probieren sich in vorsichtigem Optimismus, Finanzinstitute stillen ihren immensen Hunger mit grossem Eifer in den Kapitalmärkten, ausgehungerte Investoren kaufen jedes Papier mit ein wenig besserer Rendite, ohne sich um die Risiken zu scheren.
Die ferienverwöhnten Europäer erfreuen sich der heissen Augusttage, und es tut gut, sich krisengefestigt und positiv zu geben und die nächsten Monate mit Zuversicht zu erwarten.
So sehen es die einen. Die anderen dagegen schauen in den blauen Himmel und bereiten sich auf das Gewitter vor. Wie Barometer zeigen die Schlagzeilen der täglichen Presse, dass Schlimmes zu erwarten ist.
Die Finanz- und Bankenwelt geht von Skandal zu Skandal, von Schwierigkeit zu Schwierigkeit, zu Krise zu Krise und wird täglich abhängiger von EZB-Finanzierung. Die Aktivitäten des letzten Jahrzehnts müssen aufgeräumt werden, Reform- und Regulationswirrwarr, in dem auch den Spezialisten die Übersicht verloren geht, Entflechtung der „over leveraged“ Bilanzen und die damit einhergehende Verringerung des Kreditvolumens, ein Meer von Schulden auf jeder Ebene und die Sorgen um die Zukunft schwächen jedes Wachstum oder unterbinden es vollkommen.
Schuldzuweisungen sind an der Tagesordnung, mit den Finanzmärkten als Spitzenreiter. Finanzinnovation gilt als ein Werk des Teufels, dabei wird vergessen, dass das Instrument als solches neutral ist und nur sein Nutzen hilfreich oder zerstörend sein kann. Schnell wachsende Kapitalmärkte haben es ermöglicht, die Welt mit unlimitiertem Kapital zu versorgen, und geholfen, Milliarden von Menschen aus der totalen Armut herauszuführen.
Spekulationen oder sogar Manipulationen haben leider gezeigt, dass die Vorteile eines nur leicht kontrollierten Finanzsystems die Nachteile nicht aufwiegen können, und wir sind uns alle bewusst, dass auch die Kapitalmärkte in ein starkes globales Regelwerk eingebunden werden müssen.
Das sollte noch lange nicht heissen, dass es jetzt Staaten und Regierungen vorbehalten ist, konstant in diese Märkte einzugreifen und die Preisbildung zu verfälschen. Investitionen sollten auf wirtschaftlichen Analysen basiert sein und nicht auf dem Spekulieren auf die nächsten Schritte politischer Entscheidungsträger.
Das eine zu erreichen ohne das andere zu schädigen, ist sowohl die Aufgabe der Akteure im Kapitalmarkt als auch der entsprechenden Aufsichtsorgane – nur ein Zusammenarbeiten kann das notwendige Gleichgewicht schaffen. All das ist leichter gesagt als getan, aber ich bin überzeugt, dass über die nächsten Jahre hinweg diese Aufräumarbeiten zu einem besseren und sichereren globalen Finanzsystem führen werden.
Die unbekannte Grösse liegt mehr im Schicksal des Euros. Die nicht vollendeten Rahmenbedingungen für eine gewollte Einheitswährung, die keine ist, ein Ringen mit der Preisgabe von Souveränität und institutioneller Verantwortung, der Kampf zwischen befürchteter „Balkanisierung“ oder ebenso gefürchtete „Unionisierung“ von politischer Aktivität in Europa nimmt immer schärfere Konturen an.
Es besteht kein Zweifel, dass der Mangel an Zukunftsorientierung und politischer Willensstärke eine Glaubwürdigkeitskrise hervorgerufen hat, mit traumatischen wirtschaftlichen Folgen. Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit im Süden mit der einhergehenden Auswanderung, Kapitalflucht und Investitionsmangel, Verschiebung der Einlagenbasis in den Norden zeigen das langsame Ausbluten ganzer Staaten.
Regierungen sind nicht mehr in der Lage, das Schicksal ihrer Länder entscheiden zu können, und sind schutzlos der Wut ihrer Bevölkerung ausgesetzt, die radikale und radikalere Lösungen sucht; eine Blutvergiftung, die sich von Tag zu Tag stärker ausbreitet und neue Regionen erfasst, die immer höhere Dosen von Antibiotika, sprich Hilfs- und Transferzahlungen, erfordert und die nicht nur das wirtschaftliche Wachstum in Europa, sondern in der ganze Welt schwer beeinträchtigt.
Tausende von Fachleute jeglicher Couleur stehen am Bett des Patienten Euro, ringen um die Diagnose, um die richtige Behandlung, und es ist zu erwarten, dass, obwohl viele der vorgeschlagenen Lösungen sicher berechtigt sind, kaum eine Einigung für eine Kur erreicht werden wird. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Mitgliedstaaten dieses Europas mehr und mehr nationale Massnahmen treffen, um sich gegen die Auswirkungen zu schützen.
Noch hat der Euro seinen Wert, noch wird er durch seine starken Mitglieder gestützt, aber es ist die Frage, ob die vorgeschlagene Richtung der Behandlung mit der Kollektivierung von Schulden wirklich Lösungen bringen wird oder aber im Gegenteil die gesunden Teile des Ganzen schwächen wird.
Es scheint daher dringend, dass die Infektionsherde der Blutvergiftung in den Gliedstaaten in Eigenverantwortung bekämpft werden und nicht von zugereisten Medizinern mit undurchführbaren Austeritätsmassnahmen gepflegt werden. Selbstverständlich muss man diesen Staaten eine Gelegenheit zum Neuanfang bieten, sei es auch um den Preis dosierter Schuldenerlasse, Transferzahlungen und anderen Beistandesinstrumente einschliesslich möglichen Moratorien oder sogar Massnahmen administrativer oder legaler Natur.
Schuldenerlasse oder Umstrukturierungen werden Opfer von allen Marktteilnehmern erfordern, aber werden es erlauben, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, anstatt die Zukunft mit illusorischen Plänen zu einer Fiskal- oder gar politischen Union zu belasten. Denjenigen, die zäh um die Erhaltung des Errungenen kämpfen, die mit unzähligen kleinen Schritten probieren, die Probleme Europas zu lösen, muss und soll man Mut zusprechen, aber sie auch warnen, dass falsche Hoffnungen dramatische Wirkungen haben könnten.
Es scheint mir daher an der Zeit umzudenken und diesem Europa die Zeit zu geben zusammenzuwachsen und den einzelnen Ländern die Möglichkeit zu geben, sich anzupassen und sich in das Gefüge einzubringen. Dies kann nur erfolgen, wenn diese Richtung von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird, aber sicher nicht, wenn sie von Geldgebern aufgezwungen wird.
Die gewaltige Integrationskraft, die von einer gemeinsamen Währung ausgeht, steht der vorsichtigen Annäherung im Wege und könnte im schlimmsten Fall das gesamte europäische Projekt gefährden. Geduld und nationale Eigenverantwortung ist eine Notwendigkeit. Ein Erzwingen oder Durchstieren dagegen schafft den Nährboden für Rezession, wird Anpassung verhindern, Märkte ausser Kraft setzen, Unsicherheit schaffen und schlussendlich den Euro zerstören.
Ist das der gleiche Rudloff von Barclays Capital, der immer über alles Bescheid weiss, nur von den Libor-Betrügereien der eigenen Bank selbst als VRP noch nie etwas gehört hatte? Please…
Das ist schön gesagt und ein interessanter Beitrag. Aber wieso nehmen gerade die (europ.) Investmentbanken (IB’s) nicht eine führende Rolle ein, wenn es darum ginge gute Lösungen zur Umschuldung (und somit Schuldenreduktion) in Europa vorzuschlagen? Erfahrung und Brain Power hätten sie ja. Aber in der völlig missglückten griechischen Umschuldung, welche nun mit einem faktischen Totalverlust für Privatanleger (und einer Besserstellung der EZB) endete, haben Investmentbanken die Shortseite voll gespielt und überhaupt keine gemeinsamen langfristigen Interessen gezeigt. Folge: Gewinne für IB’s und HF’s, aber der totale Vertrauensverlust von „Real Money Accounts“. Return of Money, not Return on Money wird nun gespielt (siehe Swiss Life Portfolio). Die spanische Situation ist exemplarisch der völligen Untätigkeit von IB’s. Hier wird die Moral Hazard Karte der Privatwirtschaft (Caja’s) auf Kosten des Staats propagiert. Wunderbar um hier ebenfalls die Shortseite auf den Staatspapieren zu spielen. Hier bräuchte es einen drastischen Schuldenschnitt in der Privatwirtschaft, aber diese Bonds liegen eben eher auf den Büchern der IB’s…
Toller Kommentar!