Mit den neuen Dokumenten hätte er nie endgültig beweisen können, dass er nichts mit dem Dollar-Kauf kurz vor der Euro-Anbindung zu tun habe. So begründete Philipp Hildebrand gestern seinen überraschenden Rücktritt als SNB-Präsident. 96 Stunden zuvor hatte er nichts von Rücktritt wissen wollen.
Den raschen Wandel begründen „Blick“ und „Tages-Anzeiger“ heute mit neuen Dokumenten von Hildebrands langjährigem Kundenberater bei der Bank Sarasin.
Das überzeugt nicht. Die E-Mails und Handnotizen sind keine „Smoking guns“.
Es geht vor allem um drei Schriftstücke: ein handschriftliches, ein Mail-Verkehr und eine Erklärung des Sarasin-Kundenberaters gegenüber dem Anwalt von Hildebrand.
Der Mail-Verkehr belastet den gestürzten SNB-Chef, das Handschrift-Dokument entlastet ihn, die Erklärung spricht Hildebrand von den härtesten Vorwürfen frei.
Am 15. August 2011 visiert Philipp Hildebrand während einem Besuch seines Kundenberaters in Zürich Kaufaufträge. Swiss-Re- und Zürich-Aktien sollen in ein Sub-Konto von Hildebrands Tochter transferiert werden; gekauft werden sollen zuerst für je 10’000 Franken Aktien von Nestlé und Weatherford für das Töchterlein, dann Aktien von Roche, Nestlé und Weatherford für je 25’000 Franken für das eigene Depot.
Zudem soll der Kundenberater für die Tochter 20’000 Dollar zulasten von Hildebrands eigenem Konto erwerben. Zum umstrittenen grossen Dollarkauf (insgesamt 500’000 Dollar) steht nichts.
Dieser kommt erst auf den nachträglich verfassten „Contact Notes“ des Kundenberaters von Philipp Hildebrand zur Sprache. „c) consider increasing his USD-exposure but he would leave it up to his wife Kashya to so decide. Later on I visited Kashya at her office and she was very keen to do this. We eventually agreed that she e-mails me her wish (see below)“
Kashya Hildebrand mailt an jenem Montag Mitte August um 13.20 Uhr dem Sarasin-Mann. „As we discussed we would like to get our dollar FX exposure up to 50% in our account. As discussed our current dollar exposure is 31%. We would like to increase our dollar exposure to 50%.“ Der Sarasin-Kundenberater bestätigt den Dollar-Kauf per Mail an Kashya mit Kopie an Hildebrand.
Am Tag danach, dem 16. August, reagiert Philipp Hildebrand per E-Mail an den Sarasin-Kundenberater. Er schreibt um 7.36 Uhr: „However, I am surprised reference to a dollar transaction in your email. We never discussed any dollar purchases yesterday. Given Kashya’s email response and copy to me, I assume she gave you the order. Please confirm that.“
Eine knappe halbe Stunde später, um 8 Uhr, antwortet der Sarasin-Mann per E-Mail. „As regards the actual dollar purchase order: Yes, Kashya yesterday gave me the verbal order, followed by the e-mail later on. I also remember you saying in our yesterday’s conversation that if Kashya wants to increase the USD exposure then it is fine with you.“
Hildebrands Anwalt Peter Nobel holt beim Sarasin-Mann nach Hildebrands vermeintlichem Befreiungsschlag von letzter Woche eine Bestätigung für den Ablauf ein. Dieser schreibt mit Brief von gestern unter „Klarstellung“: „Ihrem Wunsch entsprechend, halte ich hiermit gerne schriftlich fest, dass mir der FX-Auftrag vom 15. August 2011 (d.h. die Erhöhung der USD-Exposure auf 50% der damaligen Währungsallokation) von Kashya Hildebrand in ihrer Galerie aus eigener Initiative mündlich erteilt wurde.“
Beweisen die drei Dokumente – Sarasin-Handnotizen, E-Mail-Verkehr, Klarstellung -, dass Philipp Hildebrand, wie die „Weltwoche“ behauptet, den grossen Dollar-Kauf selbst in Auftrag gegeben habe und ein Lügner sei? Oder kann Hildebrand seine Beteuerung aufrecht erhalten, dass er in dieser ganzen Affäre nie gelogen habe, dies im Unterschied zu anderen Akteuren?
Die neuen Dokumente haben Hildebrands Position eher geschwächt. Zum Einsturz bringen sie seine Abwehrfestung aber nicht.
Dafür lassen sie immer noch zu viel offen. In den Handnotizen, welche die Aufträge Hildebrands am unmittelbarsten widergeben, steht nichts vom grossen Dollar-Kauf.
Das führt zur entscheidenden Frage: Warum warf Hildebrand das Handtuch, nachdem er noch letzte Woche „wie ein Löwe“ gegen seine Angreifer SVP und „Weltwoche“ kämpfte, vom Bundesrat gestützt und von der Finanzministerin in der TV-„Arena“ verteidigt wurde?
Ist es doch so, wie Zeitungen heute verbreiten, dass sich an der Sitzung des Bankrats – also des Aufsichtsgremiums von Philipp Hildebrand und seinen zwei Kollegen des Direktoriums – am Samstag ein Stimmungsumschwung abzeichnete, ja das 11-köpfige Gremium, wie der „Blick“ heute schreibt, bei weiterem Festhalten Hildebrands am Amt mit geschlossenem Rücktritt reagiert hätte?
Dass der lendenlahme Bankrat so plötzlich Zähne zeigen würde, nur weil Sarasin-Dokumente Hildebrand nicht völlig entlasten, überzeugt nicht. Dagegen sprechen auch die für Hildebrand positiven Berichte in der Sonntagspresse.
Das Mail mit dem Dollar-Kaufauftrag seiner Frau Kashya wurde publiziert, woraus die Zeitungen folgerten, dass sich Hildebrands Version, nichts mit dem Kauf zu tun zu haben, wohl erhärten liesse.
Warum sollte Staranwalt Nobel am Samstag Abend, als die neue Dokumente der SNB-Spitze längst vorlagen und die Bankrats-Sitzung mit dem angeblichen Vertrauensentzug gegenüber Hildebrand über die Bühne gegangen war, bei den Redaktionen nicht intervenieren und versuchen, eine andere Version in die Welt zu setzen? Nobel sieht mit Hildebrands Rücktritt von gestern ebenso alt aus wie viele andere Akteure.
Wenn es aber nicht die neuen Sarasin-Dokumente sind, die zum raschen Sturz Hildebrands geführt haben: Was dann?
Im Raum steht das Sarasin-Konto, für das Kashya Hildebrand eine Vollmacht hat, mit der sie auch den umstrittenen Dollar-Kauf getätigt hatte. Dieses Konto ist den US-Steuerbehörden laut einem Sarasin-Sprecher nicht gemeldet worden, obwohl Kashya Hildebrand einen amerikanischen Pass hat. Gemäss US-Steuervorschriften hätte das Konto vermutlich gemeldet werden müssen.
Ein Westschweizer Journalist fragte Hildebrand an dessen gestrigen Pressekonferenz, ob der Rücktritt mit US-Steuervergehen zusammenhänge. Während Hildebrand sonst fast jede Frage ausführlich und wortgewaltig beantwortete, blieb er bei diesem Punkt dünnlippig. Nein, es gebe keinen Konnex. Next question!
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