Seit den Währungsturbulenzen um den Schweizer Franken und die massiven Interventionen zur beabsichtigten Schwächung unserer Währung durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) in der ersten Hälfte 2010 steht die Unabhängigkeit des Noteninstituts immer wieder im Fokus der Diskussionen. Seit der Affäre Hildebrand ist die Auseinandersetzung wieder voll entbrannt. Deshalb stellt sich die Frage: sind starke Führungspersönlichkeiten unersetzlich und mischt sich die Politik zu stark ein?
Laut Nationalbankgesetz ist die Schweizer Zentralbank eine Aktiengesellschaft nach Obligationenrecht. Grösste Aktionäre sind die Kantone nebst wenigen Privaten. Wichtigster Grundsatz für die Bank: Sie ist bei den geld- und währungspolitischen Aufgaben unabhängig. Deshalb dürfen die Mitglieder ihrer Organe „weder vom Bundesrat noch von der Bundesversammlung oder von anderen Stellen Weisungen einholen oder entgegennehmen“. In der internationalen Währungskooperation allerdings arbeitet sie „nach Massgabe der entsprechenden Bundesgesetzgebung mit dem Bundesrat zusammen“. Somit haben weder Bundesrat noch Parlament in ihre Geschäftstätigkeit hineinzuwirken, beispielsweise beim Handel mit Fremdwährungen. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Da stellt sich natürlich die Frage, ob aus einem historischen Blickwinkel die Bank tatsächlich jederzeit ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit erfüllen konnte. Schauen wir uns doch einmal einige ausgewählte Ereignisse in Kurzform an.
Nach Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit 1907 hatte sie ihre erste wirkliche Bewährungsprobe während der Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre zu bestehen. Sie führte 1936 zur Abwertung des Schweizer Frankens um 30 Prozent. Das war kein leichter Entscheid, er wurde lange hinausgeschoben. Es war aber ein klarer, gemeinsamer Beschluss von Notenbank und Bundesrat und absolut gesetzeskonform.
Während des Zweiten Weltkriegs hatte die SNB mit der deutschen Reichsbank Geschäfte mit Raubgold abgewickelt, weitgehend ohne Wissen der Regierung. Sie führten nach dem Krieg zu grossen Auseinandersetzungen zwischen der Schweiz und insbesondere den USA. Am Pranger wegen der unpolitisch geführten Goldkäufe stand aber nicht in erster Linie die Bank, sondern die Eidgenossenschaft, für welche die SNB im Washingtoner Abkommen von 1946 für die Schweiz eine Kontribution von 250 Millionen Franken in physischem Gold an die Siegermächte zu zahlen hatte. Das Verhältnis der Bank zum Bundesrat war sehr stark gestört, denn die Bankführung war der Ansicht, dass sie ein gemischtwirtschaftliches Institut mit einem privaten Kapital darstelle und der Bund sich an den Zahlungen zu beteiligen habe, was dann auch geschah. Im Hintergrund einer ahnungslosen Öffentlichkeit spielte sich ein unwürdiges Schauspiel ab, denn die total zerstrittenen Mitglieder des Direktoriums wurden noch vor den Washingtoner Verhandlungen auf Anordnung des Bundesrates einer vorsorglichen richterlichen Einvernahme durch das Bundesgericht unterzogen, um den Urheber der fragwürdigen Goldgeschäfte herauszufinden – ein einmaliger Vorgang. Aber durchgesetzt hatte sich die Politik.
In den 1970-er Jahren, als die Wechselkurse freigegeben wurden, handelte das Noteninstitut in Absprache mit der Regierung. 2002 wurde mit dem Bund die Neuregelung der Gewinnausschüttung eingeführt, gegen den Willen der SNB. Nach dem Vorbild insbesondere der deutschen Notenbank fiel das Manna für die Kantone fortan reicher über die Kantone herab. Seit 2010 erwies sich dies nicht nur als Vorteil, hatten doch warnende Stimmen vorausgesagt, dass sich die Kantone schnell an den scheinbar nie versiegenden Geldstrom gewöhnen und ihre Budgets entsprechend gestalten würden. Das ist eingetreten, ebenso wie die nun teilweise fehlenden Mittel, entsprechend gross ist das Wehklagen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die SNB tatsächlich der Verschleuderung von Volksvermögen bezichtigt werden kann, wie es gewisse Kreise tun.
Sündenfälle einer Einflussnahme gab es auch von Seiten der SNB. Der als schier unersetzlich betrachtete Fritz Leutwiler, bis 1984 charismatischer Präsident des Direktoriums, warnte hinter den Kulissen vor der Wahl von Kurt Schiltknecht – zwar Chefökonom und Stellvertreter von Leutwiler, aber eben auch SP-Mitglied – und hintertrieb dessen Kandidatur bei der Ersatzwahl. Er wollte den erstmaligen Einsitz eines Sozis im Direktorium verhindern. Eine falsche Geldpolitik durch die Nationalbank in den späten 1980-erJahren unter Markus Lusser führte zu einer nie gekannten Inflation und einer lang anhaltenden Stagnation der Schweizer Wirtschaft. Dies minderte das Ansehen der SNB für eine gewisse Zeit, aber nur im Inland. Die berechtigte Kritik des ehemaligen SNB-Mitarbeiters Peter Buomberger, damals Chefökonom der Schweizerischen Bankgesellschaft, verhinderte 1996 dessen Wahl ins Direktorium.
Beispiel eines politischen Druckversuchs auf die Nationalbank aus der allerjüngsten Vergangenheit sind Forderungen, die auch von der OECD gestützt werden. Danach soll die SNB die Geschäftspolitik der Banken im Bereich der Hypothekarkredite direkt überwachen und allenfalls eingreifen. So würde das Noteninstitut allerdings direkt in die Niederungen der schweizerischen Parteipolitik hinuntersteigen. Diese hatte es doch in den letzten zwanzig Jahren versäumt, den politisierten Hypothekarzins zu entpolitisieren. Solchen Forderungen nachzugeben wäre falsch.
Zusammenfassend muss man feststellen, dass die Notenbank zwar unabhängig ist, in entscheidenden Fragen aber dennoch im Gleichschritt mit der Politik handeln muss. Die Schweizerische Nationalbank hat in der „Longue durée“ betrachtet gute Arbeit geleistet. In diesem Sinne gibt es bereits eine Zeit nach Philipp Hildebrand, wie es eine Zeit nach dem als unersetzlich gewähnten Fritz Leutwiler gab.
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