Doppelbuchungen wegen eines „technischen“ Fehlers, falsch verschickte Kontoauszüge, vertauschte Lohnausweise – drei massive, an die Öffentlichkeit gebrachte Vorkommnisse der letzten Wochen aus der Finanzindustrie und deren Berater. Passt dies zur allgemeinen Situation in der Banken-IT? Die NZZ zitiert am 2. Februar 2013 einen internen Kadermann zur Stimmung in den Informatikteams seiner Schweizer Grossbank: „Wir haben drei grauenhafte Jahre hinter uns. 2012 war derart katastrophal, dass es gar nicht mehr schlechter werden kann.“ Stellt sich die Frage: Was ist wirklich falsch gelaufen? Gibt es Lösungen? Prognosen?
Ein paar Gedanken meinerseits dazu.
Drehen wir für einmal das Zeitrad zurück. Mitte der 1990er Jahre: Eine gewisse Marissa Mayer – später COO von Google und CEO von Yahoo – arbeitet im Rahmen eines Industriepraktikums für das Ubilab, die IT-Research-Abteilung der UBS, an einem Expertensystem, welches Entscheidungsprozesse in mathematische Modelle abbildet, welches sich zur Vorhersage von Börsenkursen eignet. Dazu Mayer ein Jahrzehnt später: „It was basically the equivalent of Amazon’s book recommender.“
Und heute: Nur noch eine von einer kleinen Privatfirma (!) gesponserte Website erinnert an die „Ubilab-Zeit“. Dazu ein Auszug aus Forschungsprojekten, die in enger Zusammenarbeit mit der ETH durchgeführt wurden, der zeigt, dass man durchaus auf die richtigen, praxisrelevanten Themen setzte: „Security in Electronic Payment Systems“ (1994) oder das „User Interface Prototyping-Concept“ (1996).
Diese Zeit ist vorbei. Das Institut wurde im Rahmen der Grossbankenfusion eingestampft, das Management investierte lieber in US-Investmentfirmen als in IT-Research. Aus einer internen Studie weiss ich: Anfang der 1990er gingen zwei Drittel der ETH-Informatikabsolventen in die Finanzindustrie. 2012 war der traurige Höhepunkt: Kein einziger entschied sich dafür. Eine Metapher.
Wie kommen Banken aus dieser Negativspirale raus? 3 Anregungen.
1. Gelegenheiten beim Schopf packen
Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass weitere Compliance-Anforderungen auf die Finanzinstitute zukommen werden. Ob FATCA oder Client Identifying Information, es geht immer um ein ganzheitliches, einzelne Applikationen überspannendes Data Management. Ich durfte vor kurzem im Zusammenhang mit der FATCA-Einführung eine Datenanalyse mit einer speziell auf unstrukturierte Informationen ausgerichteten Data Retrieval Software (ähnlich der Google-Suchmaschine) begleiten – gegenüber konventionellen Ansätzen um Faktoren günstiger und vor allem iterativ einsetzbar. Solche Ansätze bleiben aber weiterhin die grosse Ausnahme, und die wenigsten Firmen packen die Gelegenheiten beim Schopf, bezüglich Compliance nachhaltige, technische Konzepte zu realisieren, um zukünftige Anforderungen rascher und automatisiert „on the job“ statt im Projekt umzusetzen.
2. Strategie, Strategie, Strategie
Kostenreduktion und Outsourcing sind keine Strategien, sondern Notlösungen. Die zentrale Frage ist vielmehr: In welchen IT-Bereichen will ich als Bank brillieren, sprich besser, kreativer, effizienter sein als andere? In diesen Bereichen braucht es starke, interne Teams, top-motiviert und mit grosser Freiheit ausgestattet. Diese Teams brauchen Einarbeitungszeiten von Jahren, um ihr Potential voll auszuschöpfen. Andere Bereiche können durchaus eingekauft werden, allerdings „ohne Sonderwünsche“. Manche kleinere, meist internationale Banken sind hier schon recht weit. Sie setzen ihre IT-Schwerpunkte im Design derivativer Produkte, quantitativer Analysen oder in Expertensystemen zur Kundenbetreuung. Die Entscheidung kann nur von der Geschäftsleitung kommen und hat nicht viel mit IT selbst zu tun.
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3. Führungskultur
Die Informatik als Unternehmensdienstleistung ist immer noch eine sehr junge Disziplin. Die meisten IT-Managementstrategien stammen noch aus den 1990ern und sind entsprechend industrielastig. Die Manager und Berater (inklusiv mir selbst) sind mit diesen Konzepten gross geworden und haben sie mit beschränktem Erfolg umgesetzt. Das grösste Problem: der Faktor Mensch, der nicht in die „Prozessschablone“ passen will. IT-Management heisst, Popstars zu pflegen und nicht Kirchenchöre zu leiten; nicht zuletzt, weil das „Potenzierungspotential“ der Informatik extrem zugenommen hat. Mit einer cleveren Architektur und durchdachten Applikationsdesigns können wenige IT-Experten dank hohem Automatisierungsgrad schnell und sicher (!) neue Businesslösungen realisieren – ob für 10’000 oder 1 Million Kunden, spielt beim Aufwand keine grosse Rolle. Das Design solcher Lösungen ist aber intellektuelle Schwerstarbeit und bedingt jahrelange Einarbeitungszeit, in der die Informatiker das Business verstehen lernen. Wie konkret machen? Es ist schwierig, Zugang zu bekommen, wie Firmen wie Google, Amazon, aber auch lokale Schweizer IT-Boutiquen ihre IT strukturieren und Projekte organisieren. Aus vielen Gesprächen im Kollegenkreis kann ich aber eine Art goldenen Faden skizzieren:
– People Management hoch drei: Die IT-Manager überlegen sich permanent aufs Neue, wie sie ihren oft speziellen Charakteren (à la Popstars) ein Umfeld schaffen können, in dem sie gerne den harten und teilweise mit Frust verbundenen Job machen. Für interessante Projekte (Arbeit) sorgt meist das Business ohnehin, und Geld ist kein langfristiger Motivator. Somit spielen die Soft factors eine wichtige Rolle: möglichst wenig Administration und diese hoch automatisiert, schöne Arbeitsplätze (Google), Verpflegungsmöglichkeiten (la „Guccinetta“ von Adnovum), Zeit zum Experimentieren (meist 10 bis 20 Prozent der Arbeitszeit).
– Untersuchungen zeigen, dass ein Programmierer am effizientesten ist, wenn er zwei mal drei Stunden am Tag programmiert. Längere Kernarbeitszeiten sind kontraproduktiv. Die restliche Zeit soll er mit Alternativtätigkeiten verbringen (Diskussionen, Dokumentation).
30 Prozent der Arbeitszeit sollte dem Re-Engineering alter Applikationen dienen (und das selbst bei New Economy Firmen, die auf neueste Technologien gesetzt haben).
– Die einzige Organisationsform, die funktioniert, sind kleine Teams, die für die gesamte Delivery (meist ein Modul) zuständig sind. Die Rollen im Team können durchaus alternieren. Als Projektmethodik hat sich Scrum sehr bewährt.
– Teilzeitarbeit ist in Nicht-US-IT-Firmen immer mehr die Regel als die Ausnahme (40 Prozent insgesamt, bei Neueinstellungen mehr).
– Die „Star“-Firmen haben praktisch keine Rekrutierungsprobleme.
In diesem Aspekt stehen die Banken – und gerade die grossen Institute – schlecht da, und ich spüre wenig Bereitschaft zum Wandel. Neue Führungspositionen werden meistens durch Chefs aus ähnlich gelagerten Unternehmen besetzt. IT ist zu weit weg vom Business. Zudem ist eine gewisse Überalterung bemerkbar, und der Kontakt zur „New Economy“ beschränkt sich auf finanzielle Aspekte.
Wie weiter? Ich möchte folgende Kurzprognose wagen:
1. Wir stehen erst am Beginn des Personalabbaus innerhalb der Banken
Die Vision „Banken als IT-Powerhouses“ ist nicht realistisch, und die oftmals propagierte „IT-Industrialisierung“ wird scheitern. Konsequenz ist, dass die jetzige Phase des Abbaus in kleinen Schritten ohne radikalen Strategiewechsel fortgeführt wird. In weiteren Phasen werden dann wesentliche Aufgabenbereiche (IT & Business) vollständig von Partnern bezogen.
2. Die Bankensoftware-Provider als grosse Gewinner
Die meisten Privatbanken haben den Ablöseprozess ihrer Altsysteme durch ein Standardbankensystem (meist Avaloq oder Finova) nach mehr oder weniger Einführungsschwierigkeiten erfolgreich abgeschlossen. Die Hersteller der Standardbankensysteme sind in einer exzellenten Position, den operativen, aber auch administrativen Betrieb aus einer Hand anzubieten. Ich glaube, wir sind nicht mehr weit davon entfernt, dass analog eines „Bloomberg-Terminals“ kleine bis mittelgrosse Banken einen mandantenfähigen „Private Banking Schweiz“-Desktop bestellen können. Sogar in der konkreten Umsetzung von Compliance-Bestimmungen könnten die Software-Provider eine entscheidende Rolle spielen, wenn auch die FINMA die Verantwortung für jegliche Complianceeinhaltung klar den „Data Ownern“ (also den Banken) zuordnet.
3. „Banken-IT Falling Down“ – der Anfang vom Ende
Prognose (1) und (2) mag für manche Banken-Angestellte bitter sein, für die Bank selbst und deren Aktionäre kann dies aber durchaus positive Auswirkungen haben. Zudem werden fähige IT-Mitarbeiter problemlos in IT-näheren Firmen unterkommen. Ich bin mir aber nahezu sicher, dass Schritt (1) und (2) nur Vorgeplänkel zu meiner Prognose (3) sind, und die ist, dass die existierenden Finanzplayer massiv Anteile an neue, zur Zeit im Schweizer Markt unbedeutende Konkurrenten abgeben werden.
Im Asset Management ist dieser Schritt faktisch bereits passiert. Die zwei spannendsten, noch offenen Fragen werden sein, wann im Retailbereich ein neuer, grosser Player mit einem neuartigen Konzept auftaucht (beispielsweise ein „Paypal Switzerland“) und wie lange das Private Banking in seiner jetzigen Art noch funktioniert. Insbesondere in Asien zeigt sich, dass Anlageentscheide mehr und mehr aktiv nach einem „Social Media“-Ansatz erfolgen (ich frage meine Vertrauensleute und agiere selbständig) und nicht mehr Top-Down (mein „Banker“ soll das machen). Mehr darüber in einem nächsten „Standpunkt“.
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Die beliebtesten Kommentare
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Man muss sich als ITler fragen wieso man heute noch zu einer Bank gehen sollte. Beim ersten Kurseinbruch der Aktie werden interne Kosten reduziert und die IT ist die erste die nach Indien etc. verlagert wird. ITler in einer Bank ist heutzutage nur noch ein Schleudersitz. „Nein danke“ sag ich da nur.
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Spannender Artikel! Denke auch, dass wir am Anfang vom Ende und mittem im Neuanfang sind. Die Karten werden neu gemischelt. Mit der wahrscheinlichen Aufspaltung der Grossbanken in kleinere, selbständigere Einheiten, wird sich die IT-Frage sowieso stellen. Ich prognostiziere zuerst einen massiven Write-Off der bestehenden Infrastruktur und sehr hohe Kosten für den Neuaufbau. Etwas plakativ: Organisation follows Strategy. Die Incumbents werden nochmals Jahre mit tiefen oder gar keinen Gewinne haben.
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Warum es für Informatiker hierzulande nicht so rosig aussieht umschreibt ein Zitat von Prof. Jürg Gutknecht (ETH) in der Sendung Sternstunde Philosophie vom 9.5.2010 recht treffend: Das Image des Software-Entwicklers ist in den USA einer kommerziellen Entwicklung förderlicher. In den USA der Ingenieur „c’est le roi“ bei uns ist das nicht der Fall, hier ist er der „Servant“.
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Guter Artikel! Stimme dem «goldenen Faden» zu. Zum «Social-Media-Ansatz»: Verstehe vor allem nicht, warum Anbieter wie Swissquote nicht auf diesen Zug aufspringen. Das wäre vielversprechender als dem Kunden das 1’000’000-ste Finanzprodukt zum Handel anzubieten.
Zu These (3): Payment Services wie SIX werden die neuen Player zuerst zu spüren bekommen. -
Gcuter Artikel. Sie erkennen gut wie man es machen muesste, aber das ist innerhalb der Banken nicht umsetzbar. Die Kultur ist machiavellisch gepraegt, Popstar wird wer sich Einfluss verschafft, und darin sind auch top qualifizierte Informatiker notorisch schlecht.
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Gcuter Artikel. Sie erkennen gut wie man es machen muesste, aber das ist innerhalb der Banken nicht umsetzbar. Die Kultur…
Guter Artikel! Stimme dem «goldenen Faden» zu. Zum «Social-Media-Ansatz»: Verstehe vor allem nicht, warum Anbieter wie Swissquote nicht auf diesen…
Warum es für Informatiker hierzulande nicht so rosig aussieht umschreibt ein Zitat von Prof. Jürg Gutknecht (ETH) in der Sendung…