Wahrscheinlich hätte es dem Buch gut getan, wenn Peter Wuffli den einführenden UBS-Teil noch mehr an seiner Sicht von Inclusive Leadership gespiegelt hätte.
So mag man es Wuffli sicher gönnen, dass er mit Lord Leon Brittan of Spennithorne China bereisen konnte und Phil Graham besuchte „for a few days a year to meet and greet important people in Washington“. (Seite 71)
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Die drängende – nicht gestellte – Frage ist doch: Warum erbrachten all diese Kontakte keine noch so schwachen Warn-Signale einer bevorstehenden Krise? Oder erste Anzeichen, dass sich in den USA der Wind bezüglich unversteuerten Geldern und Bankgeheimnis zu drehen begann?
Wäre vielleicht eine Taxifahrt hilfreich gewesen, bei welcher der Fahrer stolz von seinem ungewöhnlich feudalen Haus erzählt, dem eine ungewöhnliche Finanzierung zugrunde liegt?
Erschwerend kommt hinzu, dass die damaligen Geschehnisse vom Leser nicht wirklich objektiv beurteilt werden können. So stellt sich beispielsweise die Sicht von Georges Blum zur UBS-Fusion und die Charakterisierung von Führungsfiguren erstaunlich anders dar.
Zudem besteht die Gefahr einer gewissen selektiven Erinnerung. Bei aller anzuerkennenden Selbsterkenntnis und Selbstkritik Wufflis fehlt beispielsweise jeder Hinweis auf seinen 2007 in der UBS-Mitarbeiterzeitung erschienenen Beitrag „Wachstum ohne Grenzen“. (Da ein Titel allein irreführend sein kann, habe ich den ganzen Artikel, der nicht klassifiziert ist, verlinkt.)
Es wäre ein grosser Gewinn gewesen, wenn Wuffli aus seiner heutiger Sicht darüber reflektiert hätte. War auch er – obwohl damals bereits Inclusive Leadership praktizierend – so blauäugig wie alle anderen?
Alle anderen? Nicht alle. Dabei denke ich natürlich vor allem an Hans J. Bär. Leider findet sich in Wufflis Buch kein entsprechender Verweis zu ihm, obwohl einige Aussagen von „Seid umschlungen, Millionen“ wie auch die Person Bär fast schon exemplarisch für Inclusive Leadership stehen könnten: ethisch, ganzheitlich, global denkend, vielseitig, bescheiden, kultur- und kunstfördernd, zum Wohle der Schweiz engagiert als Mitglied der Volcker-Kommission. What else? Oder besser: Who else?
Einen wertvollen Beitrag zum Verständnis von „Inclusive Leadership“ bieten Wufflis UBS-Erfahrungen immer dann, wenn sie in die Erläuterungen seines Konzepts eingebunden sind. Darauf konzentrieren wir uns in diesem dritten und letzten Beitrag.
Als Wuffli die Rolle des CEO angeboten bekam, stellte er die Bedingung „to change the top management team according to my preferences“, um ein Team zu formen „that could work together guided by the principles of partnership“. (Seite 139)
Um seinen „horizontal partnership approach“ umzusetzen, entwickelte er mit seinen Kollegen in der Konzernleitung folgende „key principles“ (Seite 140):
- Same Agenda
- Involvement and Engagement
- Respect
- Debate
- Mutual Support
- Contribution
Ein Beispiel: Bei McKinsey galt „that even the youngest beginner in a debate, not only had a right but an obligation to disagree with the most senior partner when it was about finding the best possible solution to a client problem“. (Seite 142)
Das ist für mich ein Schlüsselelement von Inclusive Leadership. Nicht die Prinzipien an sich, sondern das Bemühen, sie gemeinsam zu entwickeln, umzusetzen und vorzuleben.
Weitere Beispiele zu anderen Punkten:
– Anhand der von Wuffli und seiner Frau gegründeten elea Foundation offenbart sich die positive Wirkung des Bildens von Brücken, indem verschiedenartige Unternehmen grenzüberschreitend zusammenarbeite. „One example is the (…) iCow project in Kenya, where we support a social entrepreneur in bringing expertise to small holder farmers via text messaging (…) and mobile telephony.“ (Seite 144)
– „An essential shift“ ist beispielsweise die von Wuffli verfolgte Kundenorientierung mit einem ganzheitlichen und integrierten Ansatz anstelle des (damals?) üblichen Produkteverkaufs. „The standard client advisory process (…) started with (…) listening to clients in order to fully understand their needs (…). Only then would ideas, solutions and products be offered (…) from the bank itself or from third party providers.“ (Seite171) (Die beiden weiteren Schritte sind „Decide and Implement“ sowie „Review“.)
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In meinen IP-Standpunkten zur Beruflichen Fitness nehme ich als Bezugsrahmen genau diesen „standard client advisory process“ und folge damit einem von Wufflis Ratschlägen, effektiver zu arbeiten mittels der „idea of leverage“. (Seite 177)
Um die Chance zu vergrössern, dass seine Ideen auch umgesetzt würden, gründete Wuffli das Leadership Institute. Während seiner Zeit bei UBS „close to 600 managers attended about 8000 days of strategic leadership seminar programs“. Und: „The holistic approach to leadership development was seen by several experts in this field as exemplary“.
Wenn „Experten“ etwas beurteilen, laufen sie (wie wir auch) Gefahr, dem “Halo-Effekt“ zu unterliegen. Ich hatte damals den Auftrag (festgehalten in meiner Zielvereinbarung), den Hewitt „Best Company for Leaders (Europe) in 2005“ zu gewinnen, was auch gelang.
Aber: Ein wesentliches Beurteilungskriterium war der finanzielle Erfolg von UBS. Und daraus wurde dann – neben vielem anderen, was wir sicher auch hervorragend machten und verkauften im Leadership Development – auf die Leader-Situation generell geschlossen.
Wuffli ist sich des Halo-Effekts auch bewusst. „When a company’s sales and profits are up, people often conclude that it has a brillant strategy, a visionary leader“. (Seite 135)
Ich erinnere mich gerne auch an meine SBG-/UBS-Wolfsberg-Zeit (1986 bis 1996), mit ebensolchen Auszeichnungen. Ungern erinnere ich mich, dass mich beim „letzten“ Rückflug von London (so im April 1998 – unsere Positionen in London waren handstreichartig vom SBV übernommen worden) ein Kollege fragte: „So, Herr Doktor Weidmann (das Doktor betont), was hat die ganze Wolfsberg-Führungsausbildung gebracht?“ Immerhin: Die Netzwerke waren stark und haben vielen geholfen, wieder eine andere gute Position zu finden.
Die gleiche Frage kann beim Leadership Institute gestellt werden, an dem ich zwischen 2004 bis zu irgendeiner der zahlreichen Reorganisation ein paar Jahre später tätig war. Und hier tappt Wuffli leider selber in die unkritische Bequemlichkeitsfalle bei der Beurteilung des Erfolg. „In my discussion with Chris Roebuck (einem früheren Mitarbeiter des Leadership Institutes) (…) we both agreed that we had simply not had enough time to realize the full potential of our new approach to leadership development.“ (Seite 213)
„We both agreed“, das ist so harmonisch, damit dringt man aber nicht zu den tieferen Ursachen vor. Wann immer Wuffli in den Seminaren mit den Top-600 das Thema „one firm“ propagierte (als einem im Grunde genommen plausiblen Beispiel des Inclusive-Leadership-Denkens, Seite 178), wurde seitens der Teilnehmer selten der Kundennutzen in den Vordergrund gestellt; dominiert wurde das Ganze vom „what’s in for me?“, von Forderungen nach einem separaten Bonuspool (was Wuffli ablehnte), von Abgrenzungsfragen (wem wird welcher Anteil am Ertrag zugerechnet), von fehlendem Vertrauen den Kollegen aus den anderen Divisionen gegenüber.
Das muss deprimierend gewesen sein, aber es war real. Warum übersieht Wuffli diesen Punkt? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Ohne eine gute Ursachenanalyse – und dazu gehört primär die ganze Bonusdiskussion – sind auch keine zielgerichteten Verbesserungsmassnahmen möglich; so weiterzufahren wie bisher, hätte nichts gebracht.
Schliessen wir mit einer positiven Erkenntnis. „Many different approaches and styles can be successful, and my overriding conclusion is that leaders shoud make more efforts to consciously reflect on finding and applying the approach that best suits their own personalities.“ (Seite 184)
Zu ergänzen wäre, dass darüber hinaus ein klug an die jeweilige Situation (andere involvierte respektive zur Verfügung stehende Personen, Zeitfaktoren, Komplexität) angepasstes Verhalten am erfolgreichsten ist.
Empfehle ich Ihnen nun also, das Buch zu lesen oder nicht?
Wenn Sie sowas wie den „1-Minuten-Approach“ suchen, wären Sie komplett falsch. Wenn Sie sich aber genügend Zeit nehmen wollen und können und ein weitergestecktes Ziel verfolgen, also etwa Ihre eigenen ethisch / beruflichen Grundsätze oder sogar Ihren Lebensstil zu hinterfragen und weiter zu entwickeln, also fast so etwas wie eine Standortbestimmung machen wollen, dann sollten Sie sich darauf einlassen.
In diesem Sinne passt das Buch perfekt in unsere IP-Standpunkt Reihe zur Beruflichen Fitness.
Man fragt sich, ob ein gesundes Mass an Selbstreflektion oder gesunder Menschenverstand nicht ausgereicht hätte, um diese zudem total überteuerte Lektüre uns Mitmenschen zu ersparen. Wuffli stellt wieder einmal überzeugend unter Beweis, dass er absolut nichts aus seinen Fehlern gelernt hat. Und das muss der gequälte Leser auch noch teuer bezahlen. Jetzt fehlt nur noch, dass Marcel Ospel seine Memoiren publiziert. Dann gute Nacht!
Spannende Ergänzung zur Ethik der Banker generell heute in der NZZ: Du nennst mich Banker? Beleidigung!
http://www.nzz.ch/zuerich/stadt-zuerich/du-nennst-mich-banker-beleidigung-1.18687215