Anfang der Nullerjahre suchte man als Student der Uni Zürich nicht nur nach Sinn, sondern auch nach Nebenjobs, die einem den notwendigen Glamour in den grauen Studi-Alltag brachten.
Mein Traum-Nebenjob? Verkäufer bei Musik Hug.
In meinen naiven Vorstellungen war das sowas wie Platten-Gott auf Probezeit – und tatsächlich:
Es war besser.
Die Musik liebte ich schon damals – aber erst hinter dem Tresen dieses legendären Ladens wurde mir klar, wie wenig ich wusste.
Ein älterer Kollege in der Jazz-Abteilung hat mir Miles Davis nicht erklärt, sondern „geoffenbart“. Keith Jarretts „The Köln Concert“ war für mich bis dahin ein geografischer Hinweis.
Die klassische Verkäuferin – eine Opernfee mit Beton-Frisur – erklärte die zweite Symphonie von Beethoven so leidenschaftlich, dass einem der Kopfhörer fast schmolz.
Die Limmat glitzerte draussen, Touristen hielten inne, und wir, die temporären Hüter der musikalischen Wahrheit, spielten unser eigenes Spiel: Das Musik-Raten.
„Ah, der da – Manu Chao mit veganem Einschlag.“
„Dort – ganz klar Drum’n’Bass, ungeduscht, aber mit Haltung.“
„Und jetzt das Maja-Brunner-Kontingent – Punkt 15 Uhr, zuverlässig wie die Rentenzahlung.“
Die Trefferquote?
Erschreckend gut. Musik war damals noch Persönlichkeit, kein Algorithmus.
Und dann gab es das andere Spiel. Ein dunkleres.
„Ladendieb oder nur unentschlossen?“, war die Frage, wenn jemand mit auffällig vielen Jackentaschen und zu viel Zeit zwischen Beethoven und Aphex Twin pendelte.
Wenn du allein warst, konntest du nicht viel tun. Wir schauten traurig hinterher, wenn wieder mal eine CD „den Weg ins Herz“ gefunden hatte, ohne vorher die Kasse zu konsultieren.
Shazam gab’s nicht, Wikipedia war ein Gerücht, und Überwachungs-Kameras waren etwas für Banken, nicht für passionierte Plattenverkäufer.
Die Nachricht, dass Ignazio Cassis 1989 zwei VHS-Kassetten eingesteckt hat, weckte in mir seltsame Nostalgie.
Nicht wegen der VHS – die Älteren erinnern sich: Rechteckig, schwarz, und wenn man Pech hatte, war sie mit einer Folge „Wetten, dass“ überschrieben.
Sondern wegen des Moments.
Ich sah uns vor Weihnachten, übermüdet, über engagiert, mit Musik im Kopf und Frust im Bauch, weil wir wieder mal einem Dieb nichts entgegensetzen konnten.
Und dann meinte die Klassikdame stets mit schwerer Stimme: „Das Leben wird sie einholen, früher oder später.“
Offenbar hatte sie recht.
Ob es nötig war, jetzt – mit 36 Jahren Verzögerung – die Diebstahls-Akte des Bundesrats via Weltwoche öffentlich zu entstauben, überlasse ich den Historikern und Journalisten mit zu viel Freizeit.
Aber symbolisch ergibt das Ganze plötzlich Sinn: Die heimliche Taktik, mit der Cassis an den EU-Verträgen herumwurschtelt, wirkt nun weniger diplomatisch als bekannt.
Man schleicht sich ran, greift zu, geht schnell an der Kasse vorbei, tut überrascht, wenn’s piepst – und lächelt, als wär’s ein Versehen.
Die wahre Pointe?
Dass die Schweiz heute jene Politiker hervorbringt, die in ihrer Jugend bei Musik Hug hätten lernen können, wie man mit Leidenschaft und Kopfhörer mehr über Menschen lernt als in jeder Session im Bundeshaus.
Cassis hat diese Chance verpasst – und offenbar auch bezahlt. Damals nicht an der Kasse, aber heute mit Schlagzeilen.
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Die beliebtesten Kommentare
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Billig, billig! Ware klauen ist nicht o.k. Wenn nun aber so eine uralte Geschichte aufgewärmt wird, stellt sich die Frage, wo das Intesse daran liegt. Wird da bereits gegen die neuen EU-Verträge aufmunitioniert? Deshalb noch einmal: Billig, sehr billig!
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Wenns die Linke macht und eine Rechten in den Senkel stellt, ist dieser moralisch abgestempelt, egal was es ist. Werden linke Anliegen angegriffen, ist es eine Jugendsünde (mit 27!), billig, nicht so schlimm, etc.
Wenn Zwei dasselbe tun,…
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Aha, seit wann ist Ladendiebstahl ein linkes Anliegen?
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Russian market=Die frustrierten Beiträge eines EX-Bankers!
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Offenbar war das keine Eigenleistung der Weltwoche, sondern Mörgeli hat die Story aus dem Mattino della Domenica aufgenommen. Das ist das Parteiblatt der rechtsnationalen Lega dei Ticinese; da will jemand von rechts gezielt der FDP und Bundesrat Cassis schaden. Die Story ist uralt, eine solche Übertretung hätte trotz allfälligem Strafverfahren keinen Strafregistereintrag zur Folge gehabt und nach so vielen Jahren interessiert das einfach niemanden mehr. In wie vielen Artikeln wird jetzt das noch aufgewärmt?
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Schön erzählt, danke.
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Harmonisierung vor Liberalisierung!
Haltet Euch fern von Gelddruckern und Kriegstreibern! -
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Einfach nur lächerlich das Ganze!
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Wer unschuldig der werfe den ersten Stein, Mörgeli.Eine vorsintflutliche Jugendsünde, ist ja zum lachen. Der almächtige Schöpfer hat ihm längst verziehen.
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Jugendsünde? Mit 27? Schon frappant, wie der moralische Gradmesser umschlägt, wenn der wahre Charakter der Linken (ja Cassis ist links!) ans Tageslicht kommt. Dann ist alles ganz harmlos. Aber wehe ein paar 16 jährige treffen sich in einer Waldhütte und hören rechte Musik…
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Klar doch, Ja ja. Aber moralisch ok ist es doch erst, wenn 27-jährige als Junge Tat zusammen in einer Waldhütte zu rechter Musik abhitlern?
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Na ja, immerhin gilt Diebstahl als Verbrechen (… Gut gemacht Weltwoche !
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Mörgeli ist keinen Deut besser.
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Unter CHF 300.- Warenwert ist es bloss eine Übertretung.
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Ich werde mit etwas schneller fahren kriminalisiert… hier gibt’s offenbar Unterschiede.. aber wer in Politik oder Kirche eintreten möchte sollte Vorbild sein oder den Hut nehmen!! Der Druck der Bürger sollte so groß sein, dass er gehen soll! Charaktersache! Nicht Versehen… und, was alles ist noch im Dunkeln?
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Music Hug? Viel zu teuer, genau wie Jecklin. Aber immerhin liessen sie einem im Jecklin am Pfauen stundenlang Musik hören, ohne etwas zu kaufen. Günstiger war’s im Record Store am Seilergraben. Und die coolen Sachen gab es im Musicland, Booster Upstairs, Crazy Beat oder Jamarico. Aber das waren nicht die 00er sondern die 80er Jahre.
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Die Plastiktragtaschen von GetRecords an der Marktgasse waren am Gymi unsere Schultheks. Die links-grüne Indoktrination war eben schon damals erfolgreich.
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Wenn ein 15-jähriger was klaut: da kann man drüber hinweg sehen.
Aber Cassiz war 27.
Das ist eine ganz andere Dimension.-
Der wusste ganz genau, was er tut. Immer auf Kosten der Andern. Ist in der Politik meistens üblich.
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auf der baustelle hat es jede jobs bro👍
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einen Occasionswagen abkaufen?
Eben.
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Nein dem würde ich nicht mal einen Cassis de Dijon abkaufen.
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fertig gelesen über Physiognomie.
In bestimmter Weise geprägtes, geschnittenes Gesicht; Erscheinungsbild, Ausdruck eines Gesichtes
Sehen Sie sich mal das Gesicht von diesem Herrn BR mal genauer an.
Hochinteressant und selbsterklärend, typisch und entlarvend.
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Ein Sprichwort sagt: Ab 40ig ist jeder für sein Gesicht selbst verantwortlich“.
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Wie ich den Laden am Limmatquai vermisse. Die Verkäufer waren super kompetent und es war immer eine Freude eine neue Schallplatte aufzulegen; notfalls auch eine CD.
Ignazio Cassis habe ich zuletzt im KKL in Luzern gesehen. Er hielt dort eine Ansprache und Anne Sophie-Mutter hatte einen kurzen Auftritt, danach gab es ein „Schnarchkonzert“. Dieser Abend war das Geld nicht wert; ich hätte es lieber im Musik Hug liegen lassen. Der feine Herr Cassis hatte auch hier einen gratis Abend. Es sei ihm gegönnt, dem „ehrlichen“ Manne aus dem ach so benachteiligten Kanton.-
ü50?
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@Chef: Früher oder später ist jeder ü50, sofern er es erlebt …
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Nach dem Ausladen von Anna Netrebko, weil sie aus St.Petersburg stammt, werde ich diesen Laden nie mehr betreten und auf eine Begegnung mit dem feinen Herrn lege ich auch keinen Wert.
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@ceterumcenseo
1. Netrebko stammt aus Krasnodar.
2. MusikHug existiert nicht mehr. -
@Fakten: Musik Hug existiert nach wie vor, nur ist der Eingang neu auf dem Grossmünsterplatz.
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…von Ignazio Cassis entpuppt sich für ihn als wahre Zeitbombe…
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Seltsamer Beitrag. Man fragt sich, von wo IP all diese „Autoren“ herzaubert. Weniger wäre diesbezüglich eindeutig mehr.
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cd-s waren einfach zu teuer, insbesondere für junge. 12 music songs für 30.- franken, das war damals sehr viel geld. als schüler, lehrling oder student, wie hätte man das bezahlen sollen?
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Alles war und ist teuer, wenn man zuwenig Geld hat. Und trotzdem gehörte es schon damals zum guten Ton, Dinge von anderen nicht mitzunehmen.
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Die FDP bringt schon länger nur noch Trostpreise hervor die im Kreisel links herum fahren als Interessenvertreter der Eidgenossen.
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Als Vertreter der Eidgenossen??? Die FDP? Das sind ausschliesslich Polit-Karrierist en die je nach persönlichem Vorteil links fahren, die Schweiz an die EU verschenken oder sich bei einem Grosskonzern anbiedern. Für die Schweizer Steuerzahler hat diese Partei schon lange nichts mehr gemacht.
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@Klartexter
War in meiner Verärgerung etwas missverständlich formuliert von mir, sorry, aber genau wie Sie es sagen. Nichts, aber gar nichts ist tun die Freunde Des Portemonnaie (FDP) für die Eidgenossen. Mit den Linken marschieren und den Blick stramm auf Brüssel gerichtet, das ist FDP.
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Wenn ein 15-jähriger was klaut: da kann man drüber hinweg sehen. Aber Cassiz war 27. Das ist eine ganz andere…
Die FDP bringt schon länger nur noch Trostpreise hervor die im Kreisel links herum fahren als Interessenvertreter der Eidgenossen.
Als Vertreter der Eidgenossen??? Die FDP? Das sind ausschliesslich Polit-Karrierist en die je nach persönlichem Vorteil links fahren, die Schweiz…