Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Gemäss der aktuellen Sicherheitsstudie 2025 des Verteidigungsdepartements (VBS) sprechen sich 87 Prozent der Befragten für die Beibehaltung der Neutralität aus.
Nur 32 Prozent befürworten einen Nato-Beitritt. Das Meinungsbild ist eindeutig – trotz Kriegen, trotz wachsendem geopolitischem Druck, trotz zunehmender Polarisierung.
Und was macht das VBS daraus? Eine PR-Schlagzeile mit dem Titel: „Weltpessimismus führt zum Wunsch nach einer starken Armee und mehr Nato-Kooperation.“
Statt das zentrale Ergebnis der Umfrage klar zu benennen – das breite Vertrauen in die Neutralität –, wird der Fokus verschoben, das Framing angepasst, die Aussage weichgezeichnet. Die politische Deutung ersetzt die sachliche Analyse.
So funktioniert moderne Behördenkommunikation: Was nicht ins Konzept passt, wird rhetorisch zurückgestuft. Was politisch gewollt ist, wird medial hochgezogen.
Wer sich dabei an Kampagnenkommunikation aus Marketingabteilungen erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Nur, dass es hier um staatspolitische Grundsätze geht – nicht um Zahnpasta.
Die Neutralität, jahrzehntelang das aussenpolitische Rückgrat der Schweiz, wird heute infrage gestellt; nicht in einer offenen Volksdebatte, sondern durch schleichende Umdeutung.
Von Journalisten, Thinktanks, Funktionären und Bundesstellen. Oft unterschwellig, selten offen, aber systematisch. Wer sich zur Neutralität bekennt, gilt als ewiggestrig, als Gefühlloser, als Putin-Versteher.
Statt Neutralität gibt es jetzt „wertegeleitete Neutralität“. Ein Widerspruch in sich.
So als würde man behaupten, man sei vegetarisch, solange es keine besseren Würste gibt. Die moralische Aufladung ersetzt das Prinzip.
Früher war klar: Die Schweiz mischt sich nicht ein – und wird gerade deshalb als glaubwürdige Vermittlerin ernst genommen.
Heute hingegen: Sanktionen ohne UNO-Mandat, ein Sitz im UNO-Sicherheitsrat als Aushängeschild und Waffenexporte über juristische Seitentüren.
Was als „Weiterentwicklung“ verkauft wird, ist in Wahrheit der langsame Abschied von der Souveränität. Ohne Volksabstimmung, versteht sich.
Doch politische Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Flexibilität, sondern durch Verlässlichkeit. Wer jeden Satz mit „aber“ einschränkt, verspielt langfristig die Rolle als ernstzunehmender Vermittler.
Vertrauen entsteht nicht aus PR, sondern aus Haltung – vor allem in der Aussenpolitik.
Noch zeigt sich die Bevölkerung stabil. Die 87 Prozent, die der Neutralität zustimmen, sind kein Zufall.
Sie erinnern uns daran, dass das Grundgefühl für Eigenständigkeit, Nüchternheit und Distanz in der Schweiz noch lebt – entgegen der Einflüsterungen aus Bundesbern.
Der Souverän ist weiter als die politischen Eliten.
Doch wer Neutralität ohne offene Debatte aufweicht, betreibt keinen Fortschritt, sondern Entkernung. Der Begriff wird seiner Substanz beraubt und als Fassade für strategische Anpassung weiterverwendet.
Das Resultat: Eine Schweiz, die weder glaubwürdig neutral noch entschlossen eingebunden ist – sondern irgendwo dazwischen, profillos und austauschbar.
In einer Welt mit neuen Blöcken und alten Reflexen ist Neutralität keine Schwäche. Sie ist strategische Klugheit.
Wer heute zwischen Russland, China, Israel, Iran, USA und EU vermittelt, braucht Standfestigkeit, nicht Gesinnungssolidarität. Und eine klare Linie – nicht ein Leitbild mit Fussnoten.
Die Neutralität ist kein Auslaufmodell. Sie ist das, was die Schweiz einst stark gemacht hat – und vielleicht das letzte politische Gut, das uns noch wirklich unabhängig macht.
Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wenn 87% der Befragten für die Neutralität sind und 32% der Befragten den NATO Beitritt befürworten dann wurden insgesamt 119% der Befragten befragt.
„Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache“, Herr Gautschin.
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Von welcher Neutralität ist hier die Rede? Wo Unrechtes geschieht, sollte dies auch angeprangert werden dürfen. Damit ist man noch lange nicht Partei. Aber einfach wegschauen, hat mit Neutralität nichts zu tun, das ist Feigheit! Die Analogie: Zivilcourage. Statt einem Gewaltopfer als Zeuge zu helfen, wird abseits mit dem Handy gefilmt. So dekadent ist unsere Gesellschaft heutzutage. Und derart agiert unsere Regierung und das Parlament zu Bern. Warum? Weil es da nichts zu Lobbyieren gibt.
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Absolute Neutralität ist eine sowohl-als-auch Haltung ohne Konturen.Man will nicht Stellung beziehen.
Es ist auch keine erfolgsversprechende politische Strategie, weil am Ende immer ein Entscheid in die eine oder andere Richtung nötig ist.
Ent-scheiden ist wie das Wort meint, dass wir nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen können.
Am Ende des Tages sind immer Entscheide nötig. Diese sind nie wertneutral und daher ist jeder Entscheid ein Entscheid für oder gegen etwas, für oder gegen jemanden.
War die Schweiz im 2. Weltkrieg neutral?
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Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Anmerkung zur Bedeutung des Wortes „Entscheid“ ist sprachlich interessant – und in einem Punkt trifft sie sicher zu: Auch Neutralität ist ein Entscheid. Nämlich der bewusste Entscheid, nicht Partei in einem militärischen Konflikt zu ergreifen. Das hat nichts mit Unentschlossenheit oder „sowohl-als-auch“ zu tun, sondern mit einer strategischen Haltung, die auf Zurückhaltung, Vermittlung und Schadensbegrenzung zielt. Neutralität ist keine konturlose Haltung, sondern ein Prinzip, das gerade in unübersichtlichen Zeiten Orientierung bietet. Sie bedeutet nicht moralische Überlegenheit, sondern Selbstbeschränkung. Wer vermitteln will, kann nicht zugleich Partei sein. Das ist keine Flucht vor Verantwortung, sondern ihr Kern.
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Der Schweizer glaubt nur
noch Neutralität sonst
niemand mehr. Aber das
aufwachen wird sehr bald
erschreckend sein.
Wette Militär Budget auf einmal Milliarden!! -
Hr Gautschin, Sie schreiben über das Vermitteln zwischen „den Mächten“ und was es dazu braucht. Frage an dir: wie viel Erfahrung haben Sie in der Vermittlung / Moderation zwischen politischen Mächten ? Bitte dokumentieren Sie Ihren Leistungsnachweis in diesem Bereich. Meinen Sie nicht auch, Sie begeben sich auf ein Feld wo kein Ahnung hat ?
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Lieber Herr Hauser
Sie haben völlig recht: Zum Vermitteln zwischen den Mächten fehlt mir wohl das diplomatische Talent – und das Mandat dazu ohnehin. Ich erhebe auch gar nicht den Anspruch, selbst einer dieser Vermittler zu sein.
Aber ich darf – als Bürger dieses Landes – sehr wohl darauf hinweisen, dass die Schweiz über Jahrzehnte genau in dieser Rolle glaubwürdig war. Dass sie Vertrauen genoss, weil sie sich eben nicht in geopolitische Blöcke einreihte. Und dass wir dieses Vertrauen gerade dabei sind, zu verspielen.
Ich schreibe nicht aus dem Elfenbeinturm, aber auch nicht aus einem Bundesamt. Sondern aus der Überzeugung, dass demokratische Öffentlichkeit auch bedeutet: mitdenken, beobachten, einordnen.
Mit besten Grüssen
Hanspeter Gautschin -
Herr Gautschi…die Schweiz war zwar bei einigen Konfliktherden als Vermittler erfolgreich, aber mit Vermittlung einen Angreifer abwehren nützt erbärmlich wenig. Es ist ein Unterschied, wenn man in Konflikten erfolgreich vermittelt, die x-tausend Kilometer von unserer Heimat entfernt sind.
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Erkundigen Sie sich nach einem guten Korrekturprogramm.
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Bevor Sie eine solche dicke Lippe rausplaeren, senden Sie den Lesern hier mal IHRE Vita…..Sie sind sicher erfolgreicher Dimplomat, bei der Amherdin und haben div. Staatsvertraege ausgehandelt, vermittelt zw. mehreren Staaten……
Herr Gautschin braucht IHNEN nichts zu beweise, Sie Hauser aber muessen jetzt liefern.
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Wie wollen sie denn „standfest“ sein mit Leuten die auf wackeligen Beinchen stehen und deren Rückgrat immer wieder in den Bückling zusammenfällt …
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Ausgezeichnete Analyse. Besten Dank.
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ü50?
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@chef
Es langweilt mich: Bitte den Löwen vorwerfen.
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Dem Schweizer wird immer noch dauernd suggeriert, er sei aus Neutralitätsgründen vom Krieg verschont geblieben. Das stimmt schlichtweg nicht. Es war die Lage – wir waren sowohl im 1. wie auch im 2.Weltkrieg wegen den intakten Transportwegen mehr von Nutzen. War die Schweiz damals wirklich neutral? Darüber kann man wirklich streiten. Sie hat einfach aus der Situation das Beste gemacht – aber nochmals: Nicht die Neutralität war ausschlaggebend. Auch leben wir in einer ganz anderen Zeit.Die Nord/Süd-Verbindung hat längst nicht mehr die Bedeutung, wie vor 80 Jahren – schon gar nicht, wenn wir vom Osten angegriffen würden. Die Waffen sind anders. Unsere Nachbarn sind Partner. Bei Eigenbrödler- und Drückebergerei kommt sonst, wenn’s ernst wird, die Retourkutsche: Wir werden im Stich gelassen.
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Natürlich war die Neutralität nicht der einzige Grund, weshalb die Schweiz von den Weltkriegen verschont blieb. Geografie, Transitlage und wirtschaftlicher Nutzen spielten mit. Aber sie war eben auch kein leeres Etikett – sondern Teil einer glaubwürdigen Haltung, die international respektiert wurde.
Dass die Welt heute anders ist, stimmt. Doch gerade in unübersichtlichen Zeiten ist Unabhängigkeit kein Luxus, sondern Spielraum. Wer sich heute bindet, weil er dazugehören will, wird morgen vielleicht einfach mitgezogen – ob’s passt oder nicht.
Und ob uns unsere Partner im Ernstfall wirklich retten, nur weil wir vorher artig mitgemacht haben – da hätte ich noch ein paar Fragezeichen.
Beste Grüsse
Hanspeter Gautschin -
Neutralität respektiert? Nein, es war pures Glück. Der Adolf hätte sich das „Stachelschwein“ nämlich am Schluss geholt – hat er ja selber mal gesagt – nur konnte er es nicht mehr, weil andere ihm den Meister gezeigt haben. Abgesehen davon: Die Niederlande war neutral. Genützt hat’s rein gar nichts.
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Und was die Hilfe von Partner anbelangt: Logischerweise muss die Schweiz ihre Armee massiv stärken. 0.75% des BIP reichen nicht mit der NATO und schon gar nicht im Alleingang.
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Richtig, Herr Gautschin: „Vertrauen entsteht nicht aus PR.“ Darum machen Sie PR als Beruf; konsequenterweise verdienen Sie kein Vertrauen.
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Lieber Herr Bucher
Danke für Ihre Einschätzung meines Berufslebens – ich musste schmunzeln.
Ich habe noch nie PR gemacht. Ich schreibe einfach, was ich denke. Wenn das heute schon nach Kampagne klingt, liegt das wohl am Zeitgeist – nicht an mir.
Und keine Sorge: Falls Sie mal wirklich PR brauchen, kenne ich Leute, die das besser können. Ich bin nur ein schreibender Bürger mit Meinung – kein bezahlter Überzeugungstäter.
Mit besten Grüssen
Hanspeter Gautschin
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Schön geschrieben.
Und idealistisch gemeint.Aber wer vermittelt denn zwischen „den Mächten“?
Haben wir zb im 2. Weltkrieg zwischen „den Mächten“ vermittelt? -
live from the altersheim 😂
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Du bist so d o o f …
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Wunderbare Beschreibung. Danke! Nur glaube ich, dass uns die Welt seit dem Ukrainekrieg nicht mehr als parteilos ansieht, sondern als NATO-hörig. Da hat unser lieber Aussenminister Cassis fleissig dazu beigetragen, das es so wurde.
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Das Problem ist, die meisten Parlamentarier und die Beamten in Bern verstehen die Neutralität nicht. Sie sehen die Vorteile nicht und sind wohl etwas beschränkt…
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Wie soll man denn zu etwas standfest sein, wenn man gar keine Gesinnung hat, weil das ja schon Gesinnungssolidarität wäre?
Steht das vielleicht in einer Fussnote?
Das Problem ist, die meisten Parlamentarier und die Beamten in Bern verstehen die Neutralität nicht. Sie sehen die Vorteile nicht…
Wunderbare Beschreibung. Danke! Nur glaube ich, dass uns die Welt seit dem Ukrainekrieg nicht mehr als parteilos ansieht, sondern als…
Ausgezeichnete Analyse. Besten Dank.