Die Ausgangslage könnte spannender nicht sein. Der ehemalige, vom eigenen Verwaltungsrat entmachtete UBS-CEO Peter Wuffli reflektiert in seinem neuen Buch „Inclusive Leadership“ über ganzheitliche Führung mit der Erfahrung eines Geschäfts im Hintergrund, in dem wir alle in der einen oder anderen Form selber involviert waren, demzufolge besonders angesprochen sind und darum mitreden können und sollen.
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Und: Ja, ich habe Wufflis“Inclusive Leadership“ aufmerksam gelesen, und zwar mit dem Ziel herauszufinden, was ganzheitliche Führung konkret heissen kann und ob respektive wie wir das für unsere eigene berufliche Fitness nutzen können.
Es ist eine schwierige Kost und entgegen den gutgemeinten Kollegenratschlägen nicht einfach so „valuable and useful for leadership practitioners across sectors and at all levels“ (Jürg Zeltner, Klappentext).
Das Buch richtet sich an „leaders at all management levels and across various sectors“ (das ist nun Peter Wuffli im Original), womit erstens wir alle angesprochen sind und zweitens die Frage „Leadership vs. Management“ (vorläufig) geklärt ist: Management hat etwas mit Levels zu tun (also einer hierarchischen Betrachtung), während Leadership hierarchie-unabhängig (jederzeit, von allen, überall) vorgelebt werden kann.
Inclusive Leadership ist das Gegenteil von „Exceptional Leader“-Konzepten, bei denen herausragende Persönlichkeiten die grossen Probleme lösen sollen. Erinnern Sie sich noch an Gordon Brown, der als Premierminister beinahe die Welt rettete?
Stattdessen setzt Wuffli auf einen breiten Ansatz: „(…) we need as many leaders as possible at both the macro and micro levels and across all sectors of society. Leadership should be a holistic, broadly applicable concept, not an exclusive one.“ (siehe Seite 2)
Wuffli scheut sich nicht davor, auch für ihn persönlich höchst unangenehme Themen anzugehen, wozu einerseits das Scheitern und andererseits der Bonus gehören. An diesen Beispielen zeigt sich aber auch die Tendenz, die Betrachtungen einen Schritt zu wenig weit zu treiben.
Das ist meine Grundkritik am ganzen Buch (was ich im Folgenden belegen werde), und das beschränkt leider auch den praktischen Nutzen und die Möglichkeit, Lehren zu ziehen.
Fangen wir mit dem Scheitern an. Neu für mich ist, dass der VR im Juli 2007 Wufflis Abgang „unanimoulsy“ einleitete (Seite 1).
Ob die Führungsfehler bei Dillon Read Capital Management (DRCM) die (alleinige) Ursache waren, können wir entgegen dem Artikel im Tages Anzeiger immer noch nicht beurteilen. Wuffli selber schliesst das nach wie vor aus, sinngemäss Seite 34: „While I am the first to regret this failed business initiative and the losses that followed, this episode should be put into perpective“. (Er meint die 229 Millionen DRCM-Verlust gegenüber der Verdopplung des UBS-Gewinns von 5 auf 10 Milliarden Franken zwischen 2002 und 2006.)
Das ist hier aber auch nicht das Thema, sondern das unangenehme Gefühl, das diese „Einstimmigkeit“ im VR auslöst. War das die Folge einer Art von Gruppendruck oder Gruppendenken?
Bemerkenswert Peter Senge in Lessons learned from the financial crisis (Swiss Business – Jan / Feb 2010, Seite 20, zweitletzter Absatz, wobei der Artikel insgesamt sehr zu empfehlen ist): „How can a team of board members with individual IQs above 120 have a collective IQ of 60?“
Sandro V. Gianella schrieb anlässlich der Wahl des UBS-VR als bestem der Schweiz (2005): „Das UBS-Duo Ospel / Wuffli ist sehr gut aufeinander eingespielt, kennt sich seit langem und führt das Unternehmen mit eiserner Hand.“ (Handelszeitung 2005).
„Führen mit eiserner Hand“: Ist das eine Garantie für Erfolg oder eher eine tiefere Ursache des Scheiterns? Der „beste VR der Schweiz“ (Finanz und Wirtschaft 2006) also gewissermassen eine Schafherde?
Das führt uns zur eminent wichtigen Frage, wie Inclusive Leadership im Gremium funktionieren kann. Wuffli schildert das später eindrücklich in „Creating Partnership Principles and Alignment“, das unter anderem die sorgfältige Auswahl und Zusammensetzung des (Führungs-)Teams beinhaltet und auf das wir im dritten Teil eingehen.
Erstaunlicherweise sind sein Lehren aus dem UBS-Debakel dann aber wieder sehr auf die Einzelperson fokussiert, beispielsweise: „I should have payed closer attention to market signals (…) by putting more effort into understanding these aspects myself and putting less trust in our own risk specialists (including the specialized members of he board.)“ (Seite 232)
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Dieser Ansatz übersteigt die Kapazität eines Einzelnen, negiert die Stärken eines gut funktionierenden Gremiums und passt damit auch nicht ins „Inclusive“ Leadership Konzept. Was in einem späteren Zitat aus einem Bericht der Hay Group bestätigt wird: „(…) because of globalization many leadership tasks have become too big and complex for any one individual to handle on their own, making collaboration among different people even more essential.“ (Seite 143)
In „The Pitfalls of Success“ (Seite 34ff.) ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erfolg und dessen negativen Konsequenzen angedeutet: „(…) in internal debates we talked condescendingly and with increasing disrespect about our competitors“.
„I found it increasingly difficult to deal with our success, given these signs that complacency and arrogance were creeping into parts oft he organization.“ (Seite 34)
Ich mag mich erinnern, wie Robert Studer seinerzeit als Chef und Wanderprediger innerhalb der (alten) UBS unterwegs war und genau vor diesen Zeichen warnte. Hat es was bewirkt? Immerhin, jedem war dadurch die Wichtigkeit des Themas bewusst.
„At the same time, many of us (…) started to develop feelings of unease about the sustainability of the global finance industry boom (…).“ (Seite 34)
Es scheint, als ob die (richtige) Erkenntnis da war, dass aber irgendwie die Kraft fehlte, diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, andere zu überzeugen und Gegenmassnahmen einzuleiten.
Ist es fehlende „Zivilcourage“, ein Unbehagen, „gegen den Strom zu schwimmen“, oder einfach nur der Erfolg, der blind macht? Und was bewirken die vielen Auszeichnungen und Schulterklopfen?
Ein Fussballtrainer sagte einmal: Ich will immer wissen, warum wir verlieren, aber auch warum wir gewinnen. Wenn also der Torhüter beim Elfmeter das Gelände umpflügt, den Schützen damit ins Rutschen bringt und dem Team auf diese Art und Weise einen Erfolg sichert, wäre das nicht nur vom Standpunkt der Fairness, sondern auch bezüglich Nachhaltigkeit zu hinterfragen.
Schliesslich sehe ich auch einen vielleicht etwas gewagten Zusammenhang mit der Ausbootung von Mathis Cabiallavetta (und 3 Konzernleitungs-Mitgliedern) im Zuge des Desasters um Long-Term Capital Management (LTCM). „While terrible at the time, this crisis also had some substantial benefits: it cleared the leadership situation that had started to become difficult.“ (Seiten 29 / 30).
So wurde an der Spitze der neuen UBS der einfachste Weg gegangen, um die schwierig gewordene Zusammenarbeit zu „verbessern“. Damit wurde aber auch die Verschiedenheit der Denkweisen und Erfahrungen (ein wichtiges Element von „Diversity“) geopfert, was später möglicherweise schmerzlich fehlte.
Um beim Bild der Schafherde zu bleiben: Mit nur noch einem Leithammel wurde die Gefahr des „group think“ und der Arroganz noch stärker, und leider findet sich im ganzen Buch keine vertiefte Reflexion darüber.
Im zweiten Teil stehen Entschädigung / Bonus im Fokus.
Aus Peter Wufflis Buch „Liberale Ethik“ (2010) findet sich in Bilanz 17/2010 ein Vorabdruck zum Kapitel UBS. Wuffli: „Meine Sicht des UBS Debakels“, und dort: „Ich habe nicht fahrlässig gehandelt.“
Das Interview in der Weltwoche zu „Liberale Ethik“ ist auch heute noch lesenswert, weil es einen immer noch gültigen Kurzeindruck der Person Wuffli gibt, was das Verständnis des hier besprochenen zweiten Buches fördert.
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