Für manche ergänzt eine eingehende Karma-Analyse das Spektrum der spirituellen Lebensberatung. Im Internetzeitalter dürfte die Suche nach Esoterikdienstleister nicht allzu schwer fallen, versuchen doch unzählige Anbieter ihr Glück mit Hokuspokus. Aber wie findet Politprominenz zu einem guten Karma-Berater? Insofern sich esoterischer Beratungserfolg in Profit niederschlägt, könnte sogar der einst über alle Steuerlücken erhabene frühere deutsche Finanzminister und frisch gebackene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück rasch den Profi ausfindig machen.
Aus der Zeit als Finanzminister, verzweifelt, wie er seinen imaginären Umverteilungsauftrag auf Erden erfüllen soll, verärgert über die deutschen Kleinsparer, die in der Schweiz ihre Groschen anlegen, einst von Adern platzender Wut über des Nachbarn Bankgeheimnis, klopft der SPD-Kanzlerkandidat beim Karma-Spezialisten an. Gerne möchte er Auskunft darüber bekommen, was er karmisch von seinen Ahnen erhalten hat und wie er die positiven Eigenschaften seiner Vorfahren in seiner Politikerkarriere erfolgreich nutzen kann.
Peer könnte sich nämlich zwischen seinen Ahnen aus dem Finanzadel und jenen aus der obersten Steuerverwaltung seelisch hin und her gerissen fühlen, denn schon als Kind könnte er vom höheren Sinn der Genealogie ergriffen worden sein, lautet das Motto seines Gymnasiums, das er wegen schlechten Noten nach zwei Jahren verlassen musste „Zukunft braucht Herkunft“.
Verständlicher nun auch für den Leser, weshalb Peer Steinbrück mit dem Ausrücken einer Kavallerie in Bezug auf die Schweiz fabulierte. Bei so viel Ahnenkult ist der preussische Einschlag wohl noch immer sehr markant. Nach einer ersten Betrachtung des Stammbaums seines Patienten wird die Deutungskunst des Karma-Beraters richtig gefordert, fällt es doch schwer, die dynastischen Verhältnisse und das Familienmosaik „Stein- und Delbrück“ zu überblicken.
Etliche hohe Ministerialbeamte seit dem 17. Jahrhundert und des späteren Reichs, preussische Minister und Bismarck-Vertraute, ebenso wie Geldaristokratie durch den Mitgründer der Deutschen Bank Adelbert Delbrück, füllen die beeindruckende Ahnengalerie dieses sympathischen Genossen.
Eindrucksvoll für die Mitteleuropapläne des wilhelminischen Reichs, die einen deutschen Staatenbund-Imperialismus unter deutscher Führung vorsahen, waren die Ansätze von Clemens Delbrück, einem weiteren Ahnen des SPD-Kanzlerkandidaten. Es bleibt zu hoffen, dass die unter dem Stichwort „Solidarität“ formulierten Europa-Ambitionen im Falle eines Wahlsiegs keine leeren Worthülsen sein werden und nur wenig von Clemens Delbrücks Ansätzen in Steinbrücks EU-Bestrebungen erhalten geblieben sind.
Als Urgrossneffe des Deutsche-Bank-Mitbegründers Adelbert Delbrück pflegt er treu dem Motto seines „Zukunft braucht Herkunft“-Gymnasiums freilich auch die Nähe zu Bankenlobbyisten. Folglich braucht die Schützenhilfe des Ex-Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann für Steinbrück nicht weiter zu verwundern, ist sein politisches Bankenhilfeprogramm zweifelsohne bei den Grossbanken beliebt.
Zum besonderen Ahnenmerkmal zählt aber auch die soziale Kompetenz über nahezu zwei Jahrhunderte. Eigenwillige und mutige Projekte der Delbrücks für das Gemeinwesen könnten die Grundessenz für Peer Steinbrücks soziale Umverteilungsideologie den Grundstein gelegt haben, mitunter durch die Abschaffung des schweizerischen Bankgeheimnisses. Als ein möglicher künftiger SPD-Kanzler reiht sich Peer Steinbrück somit tadellos in die Genealogie des sozial-liberalen preussischen Adel- und Politikergeschlechts der Delbrücks ein.
Der Karma-Deuter kommt zum Schluss, dass die Gutseelen-Agglomeration dieser Ahnen Steinbrück das nötige Handwerk in den Schoss gelegt haben könnte, sowohl Steuern einzutreiben als auch den Bedürfnissen des Grosskapitals zu gehorchen.
Weniger vorteilhaft ins ansonsten makellosen Gesamtbild dieses bürgerlichen Sozialdemokraten passen die knapp 89 Nebeneinkünfte und üppigen Honorare, die Steinbrück offenzulegen nicht bereit ist. Darauf angesprochen fühlt sich der Kanzlerkandidat persönlich angegriffen, und statt Rede und Antwort zu stehen, sucht er Gleichheit im Unrecht, führt er doch zu seiner Verteidigung an, dass auch Bundestagsabgeordnete aus den Oppositionsreihen üppige Honorare kassierten.
Seine steinharte Überzeugung von Recht und Unrecht im unerbittlichen Kampf gegen das schweizerische Bankgeheimnis, von der Schweiz in Fiskalfragen mehr abzuverlangen als von anderen Staaten, mag hier nicht ganz überzeugend sein, erlaubt er sich in Fragen, welche sein eigenes Portemonnaie betreffen, gleiches Mass für alle zu fordern. So gesehen ist seine Glaubwürdigkeit, nur der Schweiz gegenüber Kooperation in Fiskalangelegenheiten abzuverlangen, doch höchst zweifelhaft.
Vermutlich würde zum Schluss der Karma-Berater lieber vom Patienten wissen, wie man es gerade als Sozialdemokrat schafft, als Honorar für diverse Reden tausende von Euro zu kassieren. Das Geschäftsmodell der Luxussozialdemokratie hat es nämlich in sich und wäre auch in Frankreich mit Dominique Strauss-Kahn fast zum Erfolg gekommen.
Wenn Peer Steinbrück mal wieder wie so oft witzeln sollte, könnte er zum besseren Verständnis seiner zwischen Machtorganen, Steuern und Grossfinanzinteressen gespaltenen Seele für Wähler und Nichtwähler zur Abwechslung aus Faust, freilich in abgewandelter Form, zitieren:
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
Hamsenixneuesausserdiesemabgelutschenremake ?
Darüber zu philosophieren und historisch zu lamentieren wer Peer Steinbrück sei, mag als Freizeitlektüre interessant sein.
Nur: Peer Steinbrück ist vor allem Pragmatiker, der auch die Klaviatur der Macht zu spielen vermag. Zudem: Er ist der Wunschkandidat von Helmut Schmidt. Dieser hat anlässlich eines Podiums der „Zeit“ gesagt:“Der kann’s“ – und er meinte damit Peer Steinbrück. Helmut Schmidt geniesst über alle Parteigrenzen hinweg Autorität.- Auch von daher ist Steinbrück’s Kandidatur nicht zu unterschätzen; dies allerdings ohne Wertung aus Sicht der Schweiz…