Union der Heuchler, Hort der Doppelmoral

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist fuchsteufelswild: „Die Meinungsfreiheit ist das Fundament unserer starken und lebendigen europäischen Demokratie.“

„Wir sind stolz darauf. Wir werden sie schützen.“

Auch die EU-Kommission zu Brüssel lässt verlauten: „Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht in Europa und ein gemeinsamer Kernwert mit den Vereinigten Staaten in der demokratischen Welt.“

Frankreichs Präsident Macron behauptet, die Sanktionen durch die USA seien „ein Akt der Einschüchterung und Nötigung“. 

Der deutsche Aussenminister Wadephul sekundiert: „Die durch die USA verhängten Einreiseverbote, darunter gegen die Vorsitzenden von HateAid, sind nicht akzeptabel.“

Natürlich eilen von allen Seiten Politiker herbei, die diese Sanktionen ebenfalls mit scharfen Worten verurteilen.

Angeblich zum „Schutz der Meinungsfreiheit“ haben die USA den zwei Leiterinnen der Organisation HateAid, einem ehemaligen EU-Kommissar und zwei Vertretern von englischen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), die Einreise verboten.

„Weil sie sich gegen Hasskommentare einsetzen“, behauptet der „Spiegel“. Was nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz wahr ist.

HateAid geht meistens mit juristischen Mitteln auch gegen „verbale Angriffe“, „Delegitimierung“ oder „systematische Kritik“ vor, die nach willkürlicher Definition „Formen digitaler Gewalt“ seien.

HateAid schützt reale Opfer – greift aber auch in Grauzonen ein, in denen Demokratie Reibung, Übertreibung und Zumutung aushalten muss. Gerade dort wird Kritik notwendig.

Denn nicht jede Beleidigung ist Gewalt. Nicht jede Zuspitzung ist Hass. Und nicht jeder juristische Sieg ist ein Gewinn für den öffentlichen Diskurs.

Beliebt ist auch das Vorgehen von HateAid, dass jemand hart austeilt, dann aber nicht einstecken will und sich plötzlich zum Opfer erklärt. Und gefördert durch Staatsgelder von HateAid Unterstützung bekommt.

Allerdings: Natürlich sind das alles keine Gründe, ein Einreiseverbot zu erlassen, weil nur so die Meinungsfreiheit geschützt werden könne. Ein Stück aus Absurdistan.

Geradezu widerwärtig sind aber die Bekenntnisse von EU-Politikern zur Meinungsfreiheit als angebliches Fundament, als Kernwert der Demokratie, der unbedingt beschützt werden müsse.

Angriffe darauf seien schlichtweg nicht akzeptabel.

Welch eine Ansammlung von abstossenden Heucheleien.

Denn die gleiche EU, unter Zustimmung aller Mitgliedsstaaten, hat ihrerseits strengste Sanktionen gegen einen Schweizer Staatsbürger erlassen. Unter 58 anderen.

Obwohl der ehemalige Oberst im Schweizer Generalstab Jacques Baud in Brüssel lebt, hat er ein Ein- und Durchreiseverbot in der EU. Seine Bankkonten und Kreditkarten wurden gesperrt, er kann keine Verträge mehr abschliessen.

Und im Prinzip darf ihm niemand in der EU ein Stück Brot verkaufen.

Die Begründung ist so hanebüchen wie die der USA. Baud betreibe russische Propaganda und behaupte zum Beispiel, dass die Ukraine den Einmarsch Russlands provoziert habe.

Dabei gab er nur das Zitat eines hohen ukrainischen Funktionärs in einem Interview wieder.

Dieses Vorgehen wird von namhaften Verfassungsrechtlern als fragwürdig, gar unerträglich kritisiert.

Denn es widerspricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen wie dem Recht auf Anhörung, dem Recht auf juristische Gegenwehr (wie machen, ohne Geld?), der Unschuldsvermutung und noch einigen mehr.

Aber in diesem Fall hat man von all diesen heroischen Verteidigern der Meinungsfreiheit keinen Ton gehört. Logisch, sie selbst haben eben dieser Freiheit einen schweren Schlag versetzt.

Es braucht schon eine einem Tartuffe würdigen Portion von Heuchelei, Doppelmoral, Inkonsistenz, moralischer Selbstimmunisierung, ein Empörungs-Management, das keine Rücksicht auf Legitimation nimmt.

Es hat etwas zutiefst Schamloses, was sich hier zu Weihnachten abspielt.

Nur die Schweiz hält sich fein raus. Sie protestiert weder gegen dieses Einreiseverbot der USA – noch gegen die Sanktionierung ihres Staatsbürgers. Das ist keine Heuchelei. Aber Feigheit und Duckmäusertum.

Nicht jeder Pharisäer ist ein Heuchler. Aber jeder EU-Politiker, der das Recht auf freie Meinungsäusserung durch Sanktionen einschränkt – und gegen solche Einschränkungen durch andere scharf protestiert.