Für die Linke ist der Mensch zunächst einmal eine tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt.
Er tritt nackt und unschuldig in die Welt und wird dann geformt durch Umweltbedingungen, durch Erziehung, durch gesellschaftliche Konditionierung; ändert sich das Milieu, so ändert sich das Subjekt (wenn auch mit Verzögerung).
Dieses Konzept ist gerade für Fragen der Zuwanderung bedeutsam.
Im Sinne der Milieutheorie besteht Integration zuvorderst darin, dass auf das „unbeschriebene Blatt“ die neuen Regeln eingezeichnet werden – um es etwas sarkastisch zu umschreiben:
Neubürger haben die Verfassung zu beachten; sie trennen bitteschön den Müll; und auf keinen Fall stellen sie ein Motorfahrzeug auf dem Veloweg ab!
Damit ist es schon fast erledigt. Zur Assimilation gehört ausserdem die Teilnahme am Markt, das heisst, Geld muss eingenommen und ausgegeben werden.
Ausserdem sind amtliche Sendungen zu beantworten – falls nötig, mit Hilfe eines Übersetzers.
Demgemäss ist die Einbürgerung ein purer Verwaltungsakt: Von „Naturalisation“, wie der Vorgang einmal hiess, also der Anverwandlung der Natur, des Wesens, kann hier nicht die Rede sein.
Schweizer ist, wer den Schweizer Pass hat (und als solcher erscheint er dann auch in Zeitungsmeldungen und Kriminalstatistiken).
Insgesamt ist das Menschenbild der Linken von einer ebenso bestürzenden wie selbstgefälligen Oberflächlichkeit.
Seinen Ursprung hat dieses Menschenbild in der Pionierzeit der Aufklärung, bei Philosophen wie David Hume (1711-1776) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778).
Wer aber schon einmal kritisch in sich hineingeblickt und seine eigenen Handlungsimpulse reflektiert hat, weiss, dass es komplizierter ist.
Tatsächlich verweisen die psychologischen Erkenntnisse gerade der letzten hundert Jahre etwa durch die Psychoanalyse, die Tiefenpsychologie, die systemische Psychologie und so weiter darauf, dass wir eben nicht einfach von aussen geprägte, rein rational programmierte Intelligenzen sind.
Sondern mitbestimmt werden durch Regungen aus dunkleren Schichten, aus dem Unterbewusstsein, aus dem (behelfsmässig sogenannten) kollektiven Unbewussten, aus generationalen Schichten, aus Ablagerungen unserer Vorfahren.
Und übrigens wusste von einer fatalen inneren Spaltung des Menschen auch schon der Heidenapostel Paulus vor 2000 Jahren, als er in einfachen Worten sagte:
„Denn das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Unter Berücksichtigung dieses Aspekts darf der Fall Ameti noch einmal anders betrachtet werden:
Der Skandal um die GLP-Politikerin und PR-Fachfrau, die in einem Kellergewölbe mit der Luftpistole ein Bild der Madonna mit dem Gottessohn zerschossen und durch den dokumentierenden Instagram-Post eine Welle der öffentlichen Empörung heraufbeschworen hat.
Woher rührt denn diese massive Empörung, zumal in einem Land, das sich eigentlich weitgehend von seinen christlichen Wurzeln verabschiedet hat?
Es ist ja nicht so, wie es die linke Medienöffentlichkeit umzudeuten versucht, nämlich dass ein abergläubischer Mob eine unschuldige rothaarige Katzenhalterin durch die Strassen jagt.
Sanija Ameti ist eben kein „unbeschriebenes Blatt“. Sie ist ihrer Herkunft nach bosnische Muslimin.
Und so ist die unsympathische Aktion instinktiv als Indiz dafür verstanden worden, dass hinter einem kultivierten und hübschen Gesicht eben eine aus einer anderen, fremden Volksgemeinschaft stammende tiefe Ablehnung, ja ein Hass auf die Wurzeln unserer Kultur lauern könnte.
Ein Hass, der auch als besorgniserregend empfinden darf, wer sich nicht ausdrücklich zum Christentum bekennt.
Darin liegt der Grund für die Intensität des öffentlichen Aufschreis: Er kommt aus der herandämmernden Ahnung, dass das grosse Integrationsprojekt (das mittlerweile Millionen umfassen muss) schwieriger sein könnte, als es unsere Politiker annoncieren.
Wie steht es gerade um die Assimilation von Muslimen, die über viele Jahrhunderte und über die Blutfolge von Dutzenden von Generationen den nichtmuslimischen Rest der Welt als Dar al-Harb, also wörtlich als „Gebiet des Krieges“, betrachten?
Die zum Dschihad aufgerufen wurden, die oft selber erst nach langer Demütigung und Unterdrückung zum Islam konvertiert sind (und deren Nachfahren diese Demütigung und Unterdrückung vielleicht noch in sich tragen)?
Wie ist es auch mit Angehörigen von Kulturen, die nie durch eine Aufklärung zur Selbstverantwortung gerufen wurden (und die sich nun in einem scheinbar unerschöpflichen Sozialstaat wiederfinden)?
Wie ist es mit Menschen aus kollektivistischen, tribalistischen, nepotistischen Gesellschaften und ihrem Verhältnis zu unserem Individualismus?
Lassen sich diese Herausforderungen einfach mit der billigen Verteilung des Passes und keimfreien Statistiken bewältigen?
Der Fall Ameti hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass unter einer eingebürgerten bürgerlichen Oberfläche Kräfte wirken können, die älter, atavistischer, elementarer sind.
Ist Integration ohne Liebe überhaupt möglich – Liebe also zum Gastland?
Es wäre zu hoffen, dass hier über den Einzelfall hinausgehend eine Debatte eröffnet wird, die sich auf die umfassendere Frage bezieht.
Kommentare