In den Schlachthöfen früherer Zeiten bediente man sich eines simplen Tricks, um das Treiben der Tiere zu erleichtern:
Man schickte einen sogenannten Judasbock voran – ein einzelnes Tier, das gelernt hatte, ruhig und zielstrebig durch die Anlage zu gehen.
Die übrigen folgten ihm – aus Gewohnheit, vielleicht auch aus Vertrauen. Der Bock kam jeweils heil wieder heraus, die Herde nicht.
Der Bock wurde belohnt. Nicht spektakulär, aber verlässlich: mit Futter, mit Sicherheit, mit Vertrautheit.
Das genügte. Die Konditionierung wirkte, nicht durch Zwang, sondern durch Wiederholung und Bestätigung.
So lernte er zu führen. Und andere ins Verderben zu begleiten. Nicht aus Bösartigkeit, sondern weil das System funktionierte und die Belohnung stimmte.
Dieses einfache, wirksame Prinzip ist längst nicht in der Tierhaltung geblieben. Es wirkt bis heute: mit anderen Mitteln, anderen Figuren und in anderen Gängen.
Heute heissen die Judasböcke anders. Sie tragen Kittel, Anzüge, Mikrofone. Sie treten in Talkshows auf, unterrichten an Hochschulen, moderieren Nachrichten, kuratieren Hashtags oder leiten Taskforces.
Es sind keine Täter im klassischen Sinn; sie sind Träger von Vertrauen – und genau das macht sie so wirksam.
Wir folgen nicht Fakten. Wir folgen Personen, denen wir vertrauen; Menschen, die unsere Sprache sprechen, unsere Codes kennen, unser Weltbild spiegeln.
Menschen, die aussehen wie „einer von uns“.
Diese Vertrautheit beruhigt – und öffnet Türen: für Agenden, Ideologien, Konformitätsdruck. Für Lenkung im Mantel der Fürsorge.
Vier Schritte zur lenkenden Vertrauensfigur
1 Finde das vertraute Gesicht: Es muss nicht klüger, mächtiger oder besonders gebildet sein, nur vertraut wirken und sich bewegen, als wisse es, wohin es geht
2 Belohne Konformität: Plattform, Ansehen, Netzwerke, staatliche Förderung, mediale Präsenz – wer das richtige Lied singt, wird gehört. Und bezahlt.
3 Lass ihn führen: Durch ideologische Gänge, pandemische Narrative, regulatorische Korridore oder kulturelle Debattenräume – der Bock führt, ohne zu zwingen. Die Herde folgt freiwillig.
4 Bleib im Hintergrund: Wer wirklich lenkt, bleibt unsichtbar. Der Bock steht im Licht, die Strippenzieher nicht.
Was motiviert diese modernen Judasfiguren? Keine Bosheit, sondern der Sog der Belohnung:
Aufmerksamkeit, Status, Sicherheit, Fördergelder, Karrierechancen. Wer liefert, wird gelobt, wer ausschert, verliert. Erst Publikum, dann Anschluss, schliesslich Einkommen.
Der Bock von heute wird nicht mit Heu belohnt, sondern mit Sichtbarkeit, Karriere und Zugang zu Netzwerken.
Eine Professur hier, ein Medienpreis dort, vielleicht ein Podium in Davos.
Oft bemerkt er gar nicht, dass er längst nicht mehr zur Herde gehört, sondern für etwas anderes unterwegs ist.
Historische Beispiele, die zu denken geben:
– Edward Bernays, Neffe Freuds, verkaufte Zigaretten als Symbole weiblicher Emanzipation und später Zucker, Fluorid sowie Kriege als „nützlich“.
Kein Demagoge, sondern ein PR-Genie mit Harvard-Diplom.
– Walter Duranty, Moskau-Korrespondent der New York Times, verharmloste den Holodomor (Hungersnot in der Ukraine 1932–1933, der drei bis sieben Millionen Menschen zum Opfer fielen).
„Holodomor“ bedeutet „Tötung durch Hunger“. Während Millionen starben, beruhigte Duranty den Westen mit Berichten über angebliche Ordnung und Fortschritt – und erhielt den Pulitzer-Preis.
– Kollaborateure im Nazi-Europa trugen selten Uniform. Sie sassen in Pfarrhäusern, Lehrerzimmern und Amtsstuben. Ihr Gehorsam wurde nicht erzwungen, sondern belohnt.
– Anthony Fauci wurde während der COVID-19-Krise zur nationalen Vertrauensfigur stilisiert; als Arzt, nicht als Politiker. Wer abwich, wurde ausgeblendet, nicht mit Argumenten, sondern mit Etiketten.
– Faktenchecker, finanziert von Regierungen oder Tech-Konzernen, treten als neutrale Instanzen auf, etikettieren jedoch Meinungen, statt Debatten zu erweitern. Lohn: Fördermittel, Sichtbarkeit, Macht.
Warum funktioniert das so gut?
Das System will keine Tyrannen. Es will Zustimmer. Zustimmung entsteht leichter über Identifikation als über Zwang.
Niemand wird geprügelt; man wird umarmt: medial, sozial, institutionell. Sichtbarkeit macht süchtig, Relevanz ersetzt Wahrheit.
Das Judasbock-Modell wirkt, weil es leise ist. Es fordert nicht auf, es geht vor. Es führt keine Debatte, es erzeugt Stille.
Es spielt auf der Klaviatur der Angst – allein zu stehen, ausgeschlossen zu werden, falsch zu liegen.
Wichtige Fragen an jede vertraute Stimme: Wer finanziert diese Stimme? Wem nützt ihr Narrativ? Was würde sie verlieren, wenn sie das Gegenteil behauptete?
Würde sie auch dann noch sprechen, wenn sie dafür keinen Applaus bekäme?
Wer darauf keine Antwort hat, steht womöglich schon im Korridor.
Die Lösung ist unbequem, aber einfach: nicht schreien, nicht kämpfen. Stehen bleiben. Nicht folgen, nicht klatschen, nicht blind vertrauen. Dem Bock keine Bühne überlassen.
Denn das Schlachthaus fällt nicht durch Aufruhr. Es fällt, wenn niemand mehr hindurchgeht.
Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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„Sichtbarkeit macht süchtig, Relevanz ersetzt Wahrheit.“ Ja, in diesem Weltbild kann Wahrheit tatsächlich irrelevant sein, sonst ist der ganze Satz Blödsinn. Aber heiter geht‘s weiter, eine Reihung beliebigen Unsinns, in der man Herrn Gautschin selbst in jeder einzelnen seiner eigenen Behauptungen wiedererkennen kann, wenn man denn will – denn auch er führt keine Denatte, und erweitert sie schon gar nicht, weil jeder Widerspruch eben auch bei ihm nur Etikette ist.
Nur den N-Kollaborateur nehme ich ihm nun wirklich nicht ab. Aber ohne Gleichsetzung eines solchen mit einem Arzt geht es im hier zu bespassenden Milieu halt nicht mehr.
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@ (Kommentator):
Sie werfen mir „eine Reihung beliebigen Unsinns“ vor, erkennen mich aber gleichzeitig „in jeder einzelnen meiner Behauptungen“ wieder. Das ist immerhin konsequent – wenn auch mehr unfreiwillig.Was die angebliche Gleichsetzung betrifft: Die steht nicht im Text. Wer den funktionalen Vergleich eines Musters mit moralischer Gleichsetzung verwechselt, will nicht verstehen, sondern diffamieren.
Und was Ihre Aussage zur „Debatte“ betrifft: Ich bin jederzeit bereit zur Auseinandersetzung – nur nicht auf Zuruf aus dem Elfenbeinturm der eigenen Überlegenheit.
Bleiben Sie heiter. Aber gern auch bei der Sache.
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Starke und treffende Analyse mit guten Beispielen. Gerne mehr von Herrn Gautschi!
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Wenn der Autor denkt, er lebe in Schlachthaus? Fair enough. Ich lebe in einer Demokratie, die nicht perfekt ist, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen lässt, wo Fleiss und Leistung zwar keine Garantie sind, aber eine faire Wette.
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Schlaf weiter.
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@Schweiz 2025:
Ich lebe nicht im Schlachthaus. Aber ich beobachte, wie sich Systeme so organisieren, dass die Richtung stimmt, ohne dass jemand schiebt. Genau darum geht’s beim Judasbock-Prinzip: um Führung durch Vertrauen – nicht durch Gewalt.Was Sie als „Pläsierchen“ bezeichnen, ist mit Verlaub nicht überall gleich verteilt. Und wer glaubt, dass Fleiss und Leistung heute noch die Spielregeln bestimmen, sitzt womöglich näher an der Tribüne als am Spielfeld.
Aber ja – „fair enough“. Wer zufrieden ist, darf es gern bleiben. Ich schreibe für jene, die genauer hinschauen.
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Es gibt einen inzwischen pensionierten Politiker in einem der Länder Europas. Er ist bekannt dafür dass er keinen Blatt vor den Mund nimmt. Er hat alle Wahlen der letzten Jahrzehnte brav verloren und machte trotzdem weiter.
Er wurde gefragt wieso er nicht gewinnt. Seine Antwort: „mein Wahlprogramm richtet sich an die Denkenden. Das sind 10%, höchstens 15% der Population“.
Die wahlbestimmende Mehrheit wählt die weissen Zähne, das breite Grinsen und teuren Schlips.
Der zweite Faktor der gescheiterten Karriere lautet: sage dem Boss die Wahrheit. Der Vorgänger von Viktor Orban in Ungarn hat kurz vor der Wahl die Wahrheit gesagt. Die Rede wurde heimlich aufgenommen und veröffentlicht. Die Karriere von Ferenc Gyurcsány ist gelaufen.
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Der gefährlichste Feind ist im Inneren. Danke Hanspeter Gautschin.
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Ein Hinweis auf die Quelle, aus der geschöpft wurde, wäre doch nicht ehrenrührig gewesen, Herr Gautschin, oder?
https://uncutnews.ch/minister-kennedy-der-judasbock-der-die-menschen-zum-schlachthof-fuehrt/ -
@Urs:
Der Judasbock ist ein seit Langem bekanntes Bild. Es stammt weder von mir noch von uncutnews.ch – und es ist auch keine neue Entdeckung. Das Prinzip wird in der Verhaltenspsychologie, in politischen Analysen und in der Literatur seit Jahrzehnten beschrieben.Was Sie unterstellen, geht aber über diese Tatsache hinaus: Sie legen nahe, ich hätte abgeschrieben.
Den Artikel auf uncutnews.ch habe ich erst durch Ihren Kommentar zur Kenntnis genommen. Wer beide Texte liest, erkennt auf Anhieb: völlig andere Ausrichtung, anderer Ton, anderer Fokus. Ich beziehe mich in keiner Weise auf Robert F. Kennedy oder auf den konkreten Inhalt jenes Beitrags.
Ich arbeite mit einem allgemein bekannten Symbol, das ich in einen eigenen Zusammenhang stelle – mit eigenen Beispielen, eigener Argumentation. Das nennt man Schreiben, nicht Abschreiben.
Mit bestem Gruss
Hanspeter Gautschin
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Eine sehr schöne Parabel, welche anregt und gute Fragen beinhaltet! 🙏🏻
„Es hat schon manch einer den Bock gemolken und ein anderer hielt den Kübel drunter.“
Nichts neues unter der Sonne.
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Man braucht für die Beispiele gar nicht soweit in die Vergangenheit zu gehen. Unser Italiener im Bundesrat, nett und adrett, schreitet als Judasbock für die SchweizerLandesverräter fügsam und brav voraus. Ich bin sicher, es ist ihm gar nicht bewusst, welche bedauernswerte Rolle er einnimmt.
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90% der Menschen wollen gar nicht selber denken und ein selbstbestimmtes Leben leben, weil dass würde bedeuten gegen den Strom zu schwimmen und von den 10% die selber denken können sind auch nur ein kleiner Teil bereit, gegen den Strom zu schwimmen.
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Der Staat und die selbsternannte Elite (in Wahrheit verfaulenden sie von innen, von wegen Elite) brauche willige Diener, selbstdenkende Menschen sind der Feind. Vor einer Woche sah ich einen etwas verloren wirkenden Tagi-Verkäufer, blöd halt wenn immer weniger glauben was das Propaganda-Blättchen schreiben und irgendwann wird auch das Narrativ zusammenbrechen.
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Wieder ein super Artikel, herzlichen Dank! Sie und Herr René Zeyer zählen zu meinen Lieblingsautoren auf http://www.insideparadeplatz.ch. halt nicht 20 Minuten (20 Sekunden…), aber mit Tiefe und Humor. Danke vielmals
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Fantastisch geschrieben, in der Tat. Gleicher Meinung: Sie und Herr René Zeyer, der zu den einzigen(D-Schweiz) Journalisten, die diese Bezeichnung noch verdienen, zählt, die Humor und Wissen paaren, was es so nur noch im Ausland (ex SRG… 😉) oder in der NZZ (wo er lange Korrespondent) war. Bitte weiter so
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@Hans Gerhard, @Hans Zeller:
Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldungen – das freut mich sehr. Wenn man mit Tiefgang und einer Prise Ironie nicht nur aneckt, sondern auch Gehör findet, ist das Ermutigung pur.Und wenn man in einem Satz mit René Zeyer genannt wird, ist das für sich schon ein Kompliment – ich schätze seine Texte ebenfalls sehr.
Ich bleibe dran. Versprochen.
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Ein Artikel mit Tiefgang, danke. Selten auf IP, aber diese Zeilen lese ich später nochmals und in Ruhe.
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Hier sei es besser gewesen. Wegen Fauci.
Wird mir ein ewiges Rätsel bleiben wie die Schlafschafe einem windigen Tigrillo folgen konnten wie die Lämmer.
Er wurde, anstatt vor Gericht gestellt zu werden, genau wie von Ihnen beschrieben, Herr Gautschin, mit einem Schoggijob in Strassbourg belohnt.
Unfassbar!
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JA. Diese Spur sollte jeder Leser weiter verfolgen! Könnte es am Ende sein, das jedem Volk die Illusion gegeben wird, besonders zu sein? Sodass es sich anderen überlegen fühlt? Weil sie Export-, Demokratie-, oder Technologie-Weltmeister sind? Und so spielen sie alle brav die Rolle die ihnen zugewiesen ist. Solange sie sich besser fühlen als andere, reden sie nicht mit den anderen. Sie stehen ja über ihnen…
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ja, das hat was💪feiere dich❤️
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Noch nicht im Bett?
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Besteht das Schweizervolk zum grossen Teil aus obrigkeitshörigen und regierungsservilen Schlafschafen? Unterscheidet es sich von den Menschen aus Schland?
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Moskau
Fremd und geheimnisvoll
Türme aus rotem Gold
Kalt wie das Eis
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Besteht das Schweizervolk zum grossen Teil aus obrigkeitshörigen und regierungsservilen Schlafschafen? Unterscheidet es sich von den Menschen aus Schland?
90% der Menschen wollen gar nicht selber denken und ein selbstbestimmtes Leben leben, weil dass würde bedeuten gegen den Strom…
Man braucht für die Beispiele gar nicht soweit in die Vergangenheit zu gehen. Unser Italiener im Bundesrat, nett und adrett,…